piwik no script img

Archiv-Artikel

Heiter weiter

TODESZONE Den Abschied von „Gottschalk Live“ moderierte der Entertainer emotionslos weg. Sein Scheitern zeigt, dass auch ein Großer die gute alte Fernsehzeit nicht zurückholt

Vor der „Tagesschau“ funktioniert schon seit Generationen kaum noch eine Sendung, und wenn mal was Erfolg hat, wird es totgeklont, wie derzeit die Schmunzelkrimis

VON DAVID DENK

„Thomas Gottschalk“, heißt es in der ARD-Mediathek, „stellt seine verbleibende Sendezeit Menschen mit außergewöhnlichen Träumen, Visionen und Projekten zur Verfügung.“

Verbleibende Sendezeit – das klingt nach schwerer, unheilbarer Krankheit, und genauso war es ja auch: Als die Promigäste Anfang Mai zugunsten von Normalos mit „66 Träumen“ aus der Sendung geschmissen wurden, war „Gottschalk Live“ längst dem Tode geweiht. Im Grunde war das unausgegorene Format eine Totgeburt, denn ihm fehlten von der ersten Sendung an die Visionen, die Gottschalks Träumer vor den wenigen verbliebenen Zuschauern präsentierten. Nur 920.000 Menschen sahen am Mittwoch die emotionslose Abwicklung der Sendung, gestartet war Gottschalk im Januar mit immerhin 4,5 Millionen. Und auch das war schon eine Enttäuschung.

Gottschalk hat also auf den letzten Metern viele Träume seiner Zuschauer wahr werden lassen, sein größter Traum allerdings blieb unerfüllt: Nach „Wetten, dass ..?“ suchte er sein Glück in der kleinen Form, bei seinen Wurzeln im Radio. Irgendwie intim und irgendwie interaktiv sollte es werden, ganz anders also als die größte Unterhaltungsshow Europas. Gottschalk wollte mit Anfang 60 noch mal neu anfangen, ein Wagnis eingehen – eine höchst respektable Entscheidung, aber eine zum Scheitern verurteilte. Aus Gründen, die mit dem Moderator selbst zusammenhängen, aber auch mit dem Format, seinem Sendeplatz und den Strukturen, in denen es entstanden ist.

Im neuen Format fand Gottschalk sich nur schwer zurecht, er wirkte fahrig, großspurig, wie der reiche Onkel aus Amerika (der er ja auch ist). Und in einem grotesken Missverhältnis dazu ging es in „Gottschalk Live“ bis zur Traum-Phase um – ja, worum eigentlich? Um Promigossip und lustige YouTube-Filmchen, um wenig bis nichts also.

Das allein wäre kein Beinbruch gewesen, süße Nichtigkeiten können sehr unterhaltsam sein, doch der Produktionsfirma Grundy Light Entertainment ist es nicht gelungen, die Versatzstücke in eine tragende Form zu bringen. Gottschalk zog in einen Rohbau ein, aus dem nie ein gemütliches Zuhause wurde. Die Verantwortlichen, in der Produktionsfirma wie in den ARD-Gremien, und auch Gottschalk selbst haben die Strahlkraft des Entertainers gewaltig überschätzt.

Außerdem schwächten ARD-interne Querelen „Gottschalk Live“. Während WDR-Intendantin Monika Piel, die als derzeitige ARD-Vorsitzende Gottschalk ins Erste geholt hat, lange treu zu ihm hielt, hat Programmdirektor Volker Herres das Format schon nach wenigen Wochen aufgegeben. Gezielt gestreute Meldungen, wonach „Gottschalk Live“ angeblich die Quote der „Tagesschau“ beschädigt oder Gebührengelder verschwendet (dabei finanzieren Werbeeinnahmen das Vorabendprogramm), spielten Herres in die Hände.

Zum Verhängnis wurde „Gottschalk Live“ auch der Sendeplatz am Vorabend, den der Moderator selbst „Todeszone“ nannte. Vor der „Tagesschau“ funktioniert schon seit Generationen kaum noch eine Sendung, und wenn mal was Erfolg hat, wird es totgeklont, wie derzeit die „Heiter bis tödlich“-Schmunzelkrimis.

Gottschalk sollte diesen Bann brechen, hat aber sein Publikum nicht gefunden – wie auch? Um glänzende Quoten einzufahren, hätte er Leute zum Einschalten animieren müssen, die vor der „Tagesschau“ Besseres vorhaben als fernzusehen, zum Beispiel arbeiten: Die überzogenen Quotenerwartungen ans Vorabendprogramm sind ein Relikt aus Zeiten, in denen es um 18 Uhr Abendbrot gab und die Geschäfte um 18.30 Uhr schlossen, das Tagwerk vollbracht war. Die Enträtselung der „Todeszone“ war der Hörzu sogar eine Umfrage wert, wonach 77 Prozent der Befragten werktags zwischen 18 und 20 Uhr Nachrichten- und Informationssendungen sehen wollen.

Gottschalk wollte verbrannte Erde wieder urbar machen und ist jetzt selbst ein bisschen angekokelt: Er hätte endgültig zum Kaiser von Fernsehdeutschland aufsteigen können, so aber wurde er zugunsten von König Fußball einen Tag früher als geplant vom Hof gejagt, legt jetzt erst mal eine „kreative Pause“ ein. Er wird wiederkommen und sein unerschütterlicher Optimismus, dieses Beach-Boy-hafte, wird ihn weitermachen lassen, als wäre nichts geschehen.

„Der Vorabend ohne mich wird sehr öde, denkt an meine Worte!“, sagte Gottschalk zum Abschied. Keine Generalabrechnung, nicht mal ein böses Wort. Thomas Gottschalk ließ „Gottschalk Live“ ungerührt hinter sich wie ein Hotelzimmer. Tür zu, Sendung tot.