: Billigflieger begraben Millionen
Der Flughafen Weeze ist gespenstisch still. Nur wenige KundInnen verirren sich auf dem riesigen Areal. Der angebliche Jobmotor springt nicht an
AUS WEEZE CLAUDIA LEHNEN
Dicht wuchernde Grashalme haben den Anstrich von der Fassade geschluckt. Wo einst die Farbe grüner Oliven die gesamte Außenmauer bedeckte, ist der Sockel heute von einem dreckigen Grau. Irgendjemand hat die Wiese gemäht, lange nachdem der letzte Bewohner seine Ansichtskarten von der Pinnwand über dem Bett entfernt, seinen Fernseher eingepackt und die Türen der kleinen Zimmer hinter sich abgeschlossen hat. Eine kleine autarke 5.000-Seelen-Gemeinde duckte sich einst am britischen Militärflughafen Weeze/Laarbruch am Niederrhein, jetzt ist nur der Flughafen Weeze übrig geblieben.
Geblieben sind rund 150 lang gestreckte Siedlerhäuser, versteckt darunter auch Kirchen, Sportanlagen, Schulen, ein Schwimmbad. Der Gärtner scheint das Feld noch nicht geräumt zu haben. Sonst gibt es nur Vögel, die hier lauter zwitschern als in anderen Städten. Kein geschäftiges Menschengetrappel konkurriert mit ihrem Gesang, kein Kinderlachen, kein Glockenläuten. Verlässliche 16 Mal an einem Wochentag lässt das Getöse eines Airbus sie verstummen. Sonst ist alles geradezu gespenstisch still.
Nachdem die Royal Air Force 1999 abgezogen war, haben private niederländische Investoren den Flughafen am Niederrhein übernommen. Seit zwei Jahren starten und landen nun Billigflieger, die Zivilisten für manchmal nur zehn Euro nach Antalya, Barcelona, Glasgow, London, Rom, Stockholm und ins irische Shannon verfrachten.
Die Dame am Empfang könnte jeden Gast des Flughafens Airport Weeze einzeln begrüßen, der Dutyfree-Shop ist leer, das Restaurant geschlossen, die Mitarbeiter der Reisebüros sitzen in ihren kleinen Buden im ersten Stock und warten. Hinter seinem Sortiment aus Ansichtskarten, T-Shirts, Süßigkeiten, Zeitungen und Bildbänden über den britischen Militärflughafen Laarbruch hockt ein Verkäufer und lauert auf Kundschaft. Lediglich im Bistro sind die meisten Tische besetzt. 13.000 Quadratmeter für eine Handvoll Menschen, die zur Not auch in einer Garage Platz finden würden. Unwillkürlich fühlt man sich wie ein Gast, der sich im Datum geirrt hat. Der zum angekündigten Fest einen Tag zu früh angereist ist.
Die schmucklosen Häuser auf dem 615 Hektar großen Gelände scheinen in einen tiefen Schlaf gefallen zu sein. Fast kommt man sich vor wie in Dornröschens Märchen. Freilich: Statt Rosenhecke wuchern hier nur gewöhnliche Kiefern, auch haben die Gebäude wenig Königliches an sich. Trotzdem würde man sich nicht wundern, wenn man durch die mit klebrigen Spinnweben benetzten Scheiben der Turnhalle im Sprung zum Basketballkorb eingeschlafene Kinder entdecken würde.
Wenn Holger Terhorst zielstrebigen Schrittes durch die Flughafenhalle schreitet, die vor gut zwei Jahren noch ein alter Flugzeughangar war und für 13 Millionen Euro umgebaut wurde, fällt er auf. Die magere Anzahl an Koffern, die kümmerliche Menge vereinzelter Menschen wirken lediglich wie ein Bühnenbild. Terhorst, Marketingleiter des Airport Weeze, sitzt hier im flachen Land 78 Kilometer nordwestlich von Düsseldorf und 56 Kilometer südöstlich von Nijmegen im Bistro eines spärlich besuchten Flughafens und freut sich. Im Herbst vergangenen Jahres meldete der „Homecarrier“ des Flughafens, die niederländische Airline V-Bird, Insolvenz an, die Passagierzahlen der ersten fünf Monate des Jahres 2005 liegen um mehr als 40 Prozent unter denjenigen des Vorjahreszeitraums. Von ehemals 450 Arbeitsplätzen, die durch den Start des zivilen Luftverkehrs in Weeze geschaffen werden konnten, existieren nach zwei Jahren gerade noch etwas mehr als die Hälfte. Warum kann sich dieser Mann also derart freuen?
Vielleicht ist Terhorst ein Visionär. Möglich, dass dieser Charakterzug Einstellungsvoraussetzung beim kleinen Airport an der niederländischen Grenze ist. Ludger van Bebber, der die Geschäfte seit etwa einem halben Jahr führt, ist der Meinung, dass sich der Flughafen bald selbst tragen könnte. Zweieinhalb Millionen Fluggäste müssten von Weeze aus ins europäische Ausland starten, damit die Bilanzen positiv werden. „In zwei bis drei Jahren haben wir das geschafft“, sagt Bebber. In diesem Jahr rechnet er allerdings mit maximal 700.000 Fluggästen.
Ein „Zuschussbetrieb“ sei der Flughafen derzeit noch, gibt Terhorst zu. Für die Finanzspritzen zuständig sind keine Banken, sondern die öffentliche Hand. Wie viel Geld genau der Kreis Kleve in den Regionalflughafen gepumpt hat, darüber streiten sich Parteien und Betreiber. Es ist ein Rechenspiel, das man sich zurecht legen kann, wie es einem beliebt. Von einem Engagement in Höhe von 24 Millionen Euro spricht Ulrike Ulrich, Vorsitzende der CDU-Kreistagsfraktion in Kleve. „Dabei handelt es sich um ein Darlehen zu banküblichen Konditionen“, betont Ulrich. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag Kleve, Anne Peters, kommt bei ihren Berechnungen glatt auf den doppelten Betrag. „Der Kreis hat schließlich auch das Gelände gekauft und den Betreibern geschenkt“, sagt sie. Fraglich ist ihrer Meinung nach, ob es richtig ist, dass der Steuerzahler auf diesem Weg für die Wenigen zahlen muss, die den Flughafen tatsächlich nutzen. Ludger van Bebber folgt auf dem Rechenweg Ulrike Ulrich. Eine Frage der Bequemlichkeit, aber auch eine der Solidarität. Schließlich ist es Ulrichs Fraktion, die den Kredit, der Ende Juni fällig wäre, bis Ende 2010 inklusive aller anfallenden Zinsen stunden will. Dass die Betreiber vorerst kein Geld zurückzahlen müssen, ist beschlossene Sache. Die CDU hält im Kreistag die absolute Mehrheit.
Der Regen hat weiße Rinnsale in das Militärgrün der Fassade gegraben. Blickt man durch die verschmutzten Fenster ins Innere eines der vielen Gebäude, in welchem früher Soldaten der britischen Armee untergebracht waren, bietet sich bei jedem Fenster ein nahezu identisches Bild: Kleine längliche Zimmer, ein Waschbecken an der gekachelten Stirnseite, gegenüber Pinnwand, Leselampe und Hängeschrank über dem Platz, an dem früher ein Bett stand. Am Fenster eine weiße durchgehende Tischplatte mit Anschluss für Fernseher und Telefon.
Wo früher Soldaten und ihre Familien ein Zuhause gefunden haben, sollen sich in Zukunft Gewerbebetriebe einnisten. „Die Bausubstanz ist noch erstaunlich gut“, sagt Terhorst. Obwohl die Gebäude teilweise mehr als 50 Jahre alt sind. Trotzdem sollen sie für potenzielle Einzelhändler und Logistikunternehmen nur bedingt genutzt werden. „Wir werden bessere Gebäude bauen“, kündigt van Bebber an. Große, positive Zahlen hängen wie prall gefüllte Luftballons im Raum, wenn er sich ausmalt, wie viele Arbeitsplätze entstehen könnten, wenn die 300 Hektar Entwicklungsfläche zu einem zugebauten Gewerbegebiet werden. „Dann finden hier bis zu 2.500 Menschen einen Job“, prognostiziert er.
Zur Zeit arbeiten gerade 250 Menschen im Flughafen oder zuliefernden Betrieben. „In diese Zahl sind sogar schon 400-Euro-Jobs eingerechnet“, sagt Anne Peters. Werner Reh, Referent für Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), ist sich sicher: „Flughäfen, die ausschließlich mit Billigfliegern kooperieren, bringen für die Wirtschaft nichts. Die sparen doch Arbeitsplätze ein, wo es nur möglich ist.“ Auch das Gewerbegebiet sieht er äußerst skeptisch. „Wenn die Start- und Landegebühren für die Flieger zu Dumpingpreisen angeboten werden, müssen Gewerbetreibende Geld in den Flugverkehr buttern. Warum sollten sie das aber tun wollen?“ Anne Peters und auch ihr Kollege Hans-Jürgen Hartung-Hauke von der SPD befürchten gar, dass viele Billigflieger, unter anderem auch der Stammkunde in Weeze, Ryanair, in den nächsten Jahren Pleite machen könnten. Im Konkurrenzkampf der Billigflieger werden bis in ein paar Jahren nur zwei oder drei überleben. „Die Frage ist, ob Ryanair dabei ist“, sagt Hartung-Hauke. Noch deutlichere Worte findet Peters, wenn sie sagt: „So billig kann man Flüge nicht anbieten. Da gehen viele Airlines über den Jordan.“
In Nordrhein-Westfalen gibt es mit Köln/Bonn, Düsseldorf, Paderborn, Mönchengladbach, Dortmund, Münster/Osnabrück und Weeze sieben Flughäfen. „Viel zu viele“, sagt Reh vom BUND. Dazu kämen laut Peters außerdem nahe gelegene Airports in den Niederlanden und Belgien.
Eine 42 Jahre alte Frau, die aus der Nähe von Düsseldorf angereist ist und nun im Bistro des Terminals sitzt, fühlt sich als Gewinnerin. Nur achtzig Euro koste sie der Flug nach Stockholm mit ihren beiden Kindern. „Für den Preis fahr‘ ich gern nach Weeze.“
Ein „Billionengrab für Steuergelder“ nennt Reh den Regionalflughafen. Weil er gar nicht nötig wäre. Weil derjenige, der Flüge zu Dumpingpreisen anbiete, keine Zukunft habe. „Das ist ein Wettlauf der Schäbigkeit, bei dem alle verlieren“, sagt er.
Auf dem bemoosten Fensterbrett der verwaisten Schule hat sich eine Amsel niedergelassen. Sie kommuniziert lautstark mit einem Kollegen, der auf der alten Antenne auf dem Dach thront. Gleich ist Singpause. 17:35, Weeze – Barcelona.