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Das Material ausreizen

Die Ausstellung „Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann“ im Kunstgewerbemuseum erinnert an einen vergessenen Gestalter zwischen Modernität und Anpassung

Schicke Stühle, hier in der Ausstellung mit Möbeln von Erich Dieckmann Foto: Thomas Imo/photothek

Von Ronald Berg

Das Bauhaus wird oft pauschal als gut, fortschrittlich oder chic gesehen. Mit dem „vergessenen Bauhäusler“, wie die Ausstellung zu Erich Dieckmann im Berliner Kunstgewerbemuseum heißt, zeigt sich nun: Bauhaus meint nicht nur Glamour, Stardom und Ruhm.

Dieckmann, Jahrgang 1896, kam 1921 an die Bauhaus Schule in Weimar und legte nach drei Jahren dort in der Tischlerei seine Gesellenprüfung ab. Bereits 1923 war er im „Haus am Horn“ in Weimar für die Möblierung von Ess‑ und Herrenzimmern verantwortlich. Dieses Versuchshaus für eine neue Ästhetik beim Wohnen sollte zugleich Werbemittel für Bauhaus-Produkte sein. Mit mäßigem Erfolg. Als Gründungsdirektor Walter Gropius auch deshalb 1925 mit seiner Schule nach Dessau umzog, blieb Dieckmann in Weimar und wurde Leiter der Tischlerei an der Hochschule für Handwerk und Baukunst.

Im Grunde war diese Neugründung eine Bauhaus-Nachfolgeeinrichtung nur nicht so großsprecherisch und radikal. Statt dem schon 1923 von Gropius ausgegebenen Motto „Kunst und Technik, eine neue Einheit“ zu folgen, blieb Dieckmann hier der ursprünglichen Devise des Bauhauses treu, die Kunst und Handwerk miteinander versöhnen wollte.

Statt Experimente eher Reformen, statt Stahlrohr und Freischwinger entwarf Dieckmann weiter in Holz und setzte dabei auf reduzierte Formen in Kombination mit bürgerlicher Gemütlichkeit. Es entstanden Typenmöbel, die mit standardisierten Maßen untereinander kombinierbar waren, die aber noch im Manufakturbetrieb auf Bestellung produziert wurden. Und dies zu einer Zeit, in der sein ehemaliger Bauhaus‑Kommilitone Marcel Breuer – nun unter Gropius in Dessau – bereits mit Sitzmaschinen in Stahlrohr Furore machte.

1930 wurde die Hochschule in Weimar durch völkische Kreise völlig umgekrempelt und Dieckmann wegen seines Odiums als ehemaliger Bauhäusler entlassen. Die persönliche Krise führte Dieckmann in einen kreativen Rausch. Für verschiedene Firmen nun auch aus der Industrie betrieb Dieckmann „Möbelbau in Holz, Rohr und Stahl“, wie sein Buch von 1931 hieß, das so etwas wie Werkkatalog, Kompendium und Werbemittel in eigener Sache war. Dieckmann entwickelte die Form seiner Möbel jeweils aus dem Material, deren sparsam-rationelle und maschinentaugliche Bearbeitung die Grundlage war.

Dieckmann entwarf Möbel aus Holz und setzte dabei auf reduzierte Formen in Kombination mit bürgerlicher Gemütlichkeit

Doch zu ikonischen Entwürfen als unverwechselbarem Markenzeichen kam es nicht. Das meiste blieb auf den Geschmack des damaligen Gegenwartsmenschen hin ausgerichtet. Der aber wollte Gediegenheit und keine Sitzmaschinen für den Menschen der Zukunft. Dieckmann, der ab 1931 an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle als „Fachlehrer für Tischlerei und Innenausbau“ unterkam, fand in diesen Jahren mit seinen Entwürfen Anklang und gewann Kunden. Von heute aus gesehen wirkt Dieckmann aber zu wenig avantgardistisch.

Am Kunstgewerbemuseum kann man das alles nun nachvollziehen, mit vielen zeichnerischen Entwürfen, Möbeln und Dokumenten. Mithilfe der Kunststiftung Sachsen-Anhalt gibt es sogar Nachbauten von Sesseln, deren Gemütlichkeit man selbst austesten kann. Und es gibt Entwürfe von Studierenden der Burg Giebichenstein, die von Dieckmann inspiriert sind und aktuelle Erfordernisse wie Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit mit berücksichtigen.

Dass Dieckmann bis zur aktuellen Ausstellung (die zuvor bereits in Halle stattfand) vergessen war, hat auch mit der Zeit nach 1933 zu tun. In Halle traf den Möbeldesigner nach der Machtergreifung der Nazis abermals das Verdikt, Bauhäusler gewesen zu sein, er verlor seine Stellung. Die seltsame Pointe, mit der Dieckmann dem Stigma des Bauhäuslers begegnete, war, dass er bis zu seinem Tod 1944 im NS-Staat als kleiner Bürokrat mitmachte, zuerst im Amt „Schönheit der Arbeit“, dann in der Reichskulturkammer. Weder als Held noch als Opfer passt Dieckmann also in den Mythos des Bauhauses als Heldengeschichte. Und gerade deshalb ist es gut, dass jetzt an Dieckmann erinnert wird.

Kunstgewerbemuseum,
 Kulturforum, bis 28. 8., Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. + So. 11–18 Uhr. Katalog im Mitteldeutschen Verlag: 208 Seiten, 30 Euro

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