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Zerbrochene Stärke

Eine Ausstellung in Osnabrück verschränkt Bilder von Elfriede Lohse-Wächtler und Felix Nussbaum. Eine Intervention, die neue Perspektiven auf zwei NS-Opfer erlaubt, die nicht nur Opfer waren

Von Harff-Peter Schönherr

Es gibt Kunst, die lässt dich nicht los. Für Maren Koormann, Kuratorin für klassische Moderne im Museumsquartier Osnabrück (MQ4), sind das die Bilder der Dresdner Avantgardistin Elfriede Lohse-Wächtler, die auch Lyrik schrieb, düster und ohnmächtig, ohne Hoffnung auf Licht in „der Menschheit Chaos Nacht“. In der Ausstellung „Im Angesicht“ präsentiert Koormann 45 dieser Bilder im Dialog mit Arbeiten von Felix Nussbaum, dem der skulpturale Gedenk-Bau gewidmet ist, in dem diese beklemmende Begegnung stattfindet, mit seinen nackten Beton­wänden und rampenartigen Gängen ist er eine architektonische Abstraktion des Holocaust.

„Im Angesicht“ arbeitet Gemeinsamkeiten heraus. Lohse-Wächtler ist, wie Nussbaum, ein Opfer der NS-Ideologie; Nussbaum wird im KZ Auschwitz ermordet, Lohse-Wächtler in der Euthanasie-Anstalt Pirna-Sonnenstein. Beide reflektieren in ihrer Kunst, teils sehr biografisch, Ausgrenzung und Angst, Verfolgung und Identitätsverlust. Ihre Bilder sind ein Aufbegehren gegen eine Gesellschaft, die jede Freiheit als Gefahr sieht.

Zugleich zeigt „Im Angesicht“ Unterschiede, und diese Unterschiede überwiegen. Lohse-Wächtler bevorzugt schnelle Techniken, von der Bleistift- und Tuschezeichnung bis zum Foto und Pastellkreide-Aquarell, Nussbaum langsame, hauptsächlich Öl auf Leinwand. Sie zeigt Individuen, er typisiert. Lohse-Wächtler zeigt reale Orte, teils augenblickshaft, oft expressiv, Nussbaum entwirft symbolisti­sche Settings, strengen Bühnenbildern gleich. Während sie auf Nahbarkeit setzt, Emotionen weckt, Spontaneität ausstrahlt, bleibt er distanziert, kühl, kalkuliert. Lohse-Wächtler entwickelt rasch einen eigenen Stil, Nussbaum bemüht sich lange um akademische Reminiszenzen, teils um Altmeisterlichkeit. Sie rebelliert gegen die Konventionen des Bürgertums, er konserviert sie.

Das Ziel ist für beide gleich: Ihre Kunst ist innerer Selbsterhalt. Ein mahnendes, anklagendes Plädoyer für die Menschlichkeit, gegen Indoktrination und Gleichschaltung.

Wir blicken in Augen, aus denen Skepsis und Fragen sprechen, Gewalt und Gier. Hände erstarren in Gesten, denen man Schmerz und Arbeit anfühlt

Indem Koormann der Nussbaum-Dauerausstellung Lohse-Wächtlers Position hinzufügt, wie eine Intervention, gelingt ihr eine Synergie, die unter Beweis stellt, dass das Nussbaum-Haus „nicht verstaubt“, wie Direktor Nils-Arne Kässens beim Rundgang sagt, „kein Mausoleum ist“. Entlang an Themen wie Flucht und Trauer, Einsamkeit und Zerstörung zeigt Koormann zwei Opfer, die nicht nur Opfer sind. Aber die Einengung, Entwurzelung und Entwürdigung, die sie durchlitten haben, die Tortur, sind allgegen­wärtig.

Nussbaum hat es schwer in dieser Schau. Sicher, Lohse-Wächtler wird durch ihr Leid gebrochen, verkümmert zum Ende hin künstlerisch, Nussbaum hingegen wird in seinem Widerstand gegen die Willkür künstlerisch produktiver, klarer. Aber Lohse-Wächtler wirkt weit kraftvoller, lebendiger. Ihre Arbeiten lassen innehalten. Besonders ergreifend: „Der Bedrohte“ von 1931. Ein Kopf. Über ihm, und gleichsam in ihm, düstere Wirbel wie von Schlingpflanzen, wie von Malströmen. Dunkler kann eine Seelenlandschaft nicht sein.

Zu dieser Ergriffenheit trägt auch bei, wie Koormann Lohse-Wächtlers Bilder hängt. Zuweilen liegen ein Dutzend Schritte zwischen ihnen. Zunehmende innere Leere zeigt das, durch endlose Aufenthalte in der Psychiatrie, die 1935 in der Zwangssterilisation münden, 1940 in den Tod. Auch Lohse-Wächtlers Sterbeurkunde ist zu sehen. Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche steht darin – ein Hohn.

Lohse-Wächtlers Motive sind mutig. In großer Offenheit spiegeln sie Milieus, die herkömmliche Kulturbegriffe sprengen. Lohse-Wächtler, selbst mit materieller Not konfrontiert, oft ohne festen Lebensmittelpunkt, zeigt einfache Menschen am Rande des seelischen Zusammenbruchs, der physischen Selbstausbeutung. Sie scheut nicht vor Szenen aus Bordellen zurück, nicht vor höchst expliziter, intimer Sexuali­tät.

Eindrucks­volle, jähe Physiognomien entstehen so. Wir blicken in Augen, aus denen Skepsis und Fragen sprechen, Gewalt und Gier. Hände erstarren in Gesten, denen man Schmerz und Arbeit anfühlt. Menschenknäuel treten uns entgegen, düster, verzerrt, zerquält. Die Künstlerin, stets auf Selbstssuche, zeigt sich als Akt. Ihre Porträts sind feinnervig, ihre Selbstporträts schonungslos.

Auch Lohse-Wächtler inszeniert, wie Nussbaum, aber ihre Inszenierungen sind so schmerzhaft, als seien ihre Bilder lebendig. Nicht nur künstlerisch zeigt sie Mut: Emanzipatorisch spielt sie mit Geschlechterrollenschemata, kleidet sich teils wie ein Mann, raucht Pfeife, trägt ihr Haar kurz.

„Im Angesicht“ ist sieben Räume groß. Im siebten, ganz am Schluss der Schau, hängt das unscheinbarste Bild von allen, ein Aquarell, so klein wie eine Postkarte: umgeknickte Stiefmütterchen, in einer Glasvase. Es ist von 1939. Als sie es malt, hat Lohse-Wächtler nicht mehr lange zu leben. Selbst manche der großen, namhaften Allegorien von Nussbaum kommen gegen die anrührende Verletzlichkeit dieser unprätentiösen Miniatur nicht an. Eine starke Schau über eine Frau, deren Stärke am Ende zerbricht – und doch fortlebt, bis heute.

„Im Angesicht. Elfriede Lohse-Wächtler und Felix Nussbaum“: bis 16. 10., Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus, https://www.museumsquartier-osnabrueck.de

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