: Ein Bubenstück
Das Frankfurter Seminar für Judaistik soll dichtgemacht werden. Und das, wo Judaistik an deutschen Unis ohnehin eines der kleinsten Fächer ist
VON ANDREAS GOTZMANN
Wie der Elefant im Porzellanladen, so führen sich derzeit der hessische Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) und der Präsident der Universität Frankfurt am Main Rudolf Steinberg auf. Da kracht und scheppert es, dass man dem bekanntermaßen sensiblen Dickhäuter für die Zumutung Abbitte leisten müsste. Das Seminar für Judaistik an der Frankfurter Universität soll dichtgemacht werden? Nein!, rufen beide lautstark: Nur nach Marburg verlagert, eingebunden in einen „neuen“ Fächerzusammenhang der Orientalistik, wo dann alles besser, schöner und sinnvoller werden wird.
Da Universitätsreformen stets bedeuten, dass es billiger werden muss, rief der Wissenschaftsminister sofort: Zu wenig Studierende! Für die kleinen Fächer das billigste aller Totschlagargumente. Man möchte Herrn Corts sagen: Und wenn es womöglich hundertmal mehr Abschlüsse in Judaistik wären – wohin sollten die Studierenden dann gehen? Auf die vielen Stellen, die man hierzulande für die Forschung zum Judentum geschaffen hat? Hessen genehmigt sich nämlich wie die meisten Bundesländer nur eine traurige Professur. Judaistik bildet in der deutschen Universitätslandschaft eines der kleinsten Fächer überhaupt – bei der bedeutenden jüdischen Geschichte in Deutschland und bei dem katastrophalen deutschen Umgang mit Juden und Judentum eine Schande.
Auch der Präsident der Universität Frankfurt beschwichtigt: Nein, man wolle diese Forschung sogar fördern und das international renommierte Fritz-Bauer- Institut zur Holocaustforschung „mit Teilen“ einer Professur absichern. Und die seit Jahren in der protestantischen Theologie gestiftete Gastprofessur zur jüdischen Religionsphilosophie solle „eher“ verstetigt werden. Billig also; aber wo gibt man in Zeiten erdrückender Sparzwänge erst die einzig feste Professur auf, um dann neue aufzubauen?
Wenn man wollte, würde man auf die Einbindung der Frankfurter Judaistik zwischen Jüdischer Gemeinde, Jüdischem Museum, der Universitätsbibliothek und dem reichen Kulturleben schauen. Man könnte kostengünstig auch bestehende Fächerschranken beseitigen, so dass nicht jeder Studierende um die Anerkennung seines Interesses am Judentum kämpfen muss. Denn es kann dem Student der „deutschen“ Geschichte, Literatur und Theologie nicht schaden, auch etwas über deren jüdische Anteile zu hören. Und wohlgemerkt: Wie das öffentliche Interesse, so boomt seit Jahrzehnten auch die deutsche Forschung zum Judentum. International anerkannt und gerühmt, haben die deutschen Universitäten hierauf bislang kaum eine Antwort gefunden.
Dass der Ruf „Ab nach Marburg“ für die Forschung zum Judentum auch wieder „Ab in den Orient“ lautet und an antisemitische Argumentationslinien erinnert, mag nur ein weiteres Detail sein, denn bis vor kurzem war die Frankfurter Judaistik sensiblerweise im Fachbereich für ost- und außereuropäische Sprach- und Kulturwissenschaften angesiedelt, ein besonderes hessisches Bubenstück.
Wo der Verstand ein Zusammenlegen der angeblich zu schaffenden Stellen fordert, da zerschlägt man erst mal das Porzellan. Dass die mit erheblichen Bundesmitteln aufgebauten Frankfurter Bibliotheksbestände zum Judentum mit nach Marburg gehen werden, ist unwahrscheinlich, denn hier regiert die Logik: Wenn wir schon kein Geschirr mehr haben, am Tafelsilber halten wir fest. Und so wird dann die Forschung zum Judentum im „Marburger Orient“ ohne jede Infrastruktur arbeiten, ja bessere Ergebnisse erzielen müssen als in Frankfurt. Wenn erst einmal das Rentenalter der Mitarbeiterin naht, dann heißt es: Weg mit Schaden! Wer erinnert sich dann noch an das derzeitige Krachen im fernen Marburg? Das nennt man kalte Schließung, andere Bundesländer haben dies durch fachfremde Lehrstuhlbesetzungen schon unauffälliger vorexerziert.
Es begann alles schon verquer: Wie andere judaistische Institute war auch das in Frankfurt nicht aus einem ehrlichen Bedürfnis geschaffen worden, wenigstens nach dem Holocaust jüdische Kulturen und ihre Geschichten aus einem eigenständigen Blickwinkel kennen zu lernen. Den Ausschlag gab allein eine Schändung des alten jüdischen Friedhofs der Stadt.
Wenn man sich innerhalb des Fachs und in den jüdischen Gemeinden gesagt hatte, dass sich auch aus problematischen Anfängen etwas Positives entwickeln kann, so zeigt diese Entscheidung, dass nicht wie gehofft die Sensibilität, sondern nur die Haut der Dickhäuter gewachsen ist.
Der Autor ist Professor für Judaistik an der Universität Erfurt und Direktor des Seminars für Religionswissenschaft sowie Vorstandsmitglied des Verbands der Judaisten in der BRD und der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts.