piwik no script img

Archiv-Artikel

Etwas Besseres als die Kunst

PERFORMANCEFESTIVAL Der arabischen Demokratiebewegung eine Stimme geben, das wollen Bassem Yousri und Laila Soliman beim Performance-Festival „Voicing Resistance“ im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße

„Dem Widerstand eine Stimme geben“ ist das Motto eines kleinen, aber feinen und sehr intensiv zu werden versprechenden Performance-Festivals im Ballhaus Naunynstraße. „Voicing Resistance“ wendet sich den Revolutionen im arabischen Raum zu, an denen sich die eingeladenen Künstler zum Teil selbst aktiv beteiligt haben. Keimzelle des Festivals ist ein ägyptischer Block um die im letzten Jahr mit dem Willy-Brandt-Preis für besonderen politischen Mut ausgezeichnete Performerin Laila Soliman. Die nun präsentierten Arbeiten legen Zeugnis ab von der Mischung aus Resignation über das Vorenthalten der Früchte der „Arabellion“ und einer trotzigen Entschlossenheit, dennoch nicht aufzugeben.

Die Wände des Ballhauses Naunynstraße werden dieser Tage zur symbolischen Verlängerung der Mohammed-Mahmud-Straße in Kairo. Dort steht die derzeit bekannteste mit aufrührerischen Graffitti zum Revolutionsalltag bedeckte Häuserfront der ägyptischen Hauptstadt. Für Kreuzberg hat sich der Kairoer Künstler Bassem Yousri für eine Darstellung des gesamten Panoptikums der Gegenrevolution entschieden. Ein „Opportunist“ – für Yousri sind dies vor allem die vom Militär protegierten Salafisten und Muslimbrüder – saugt an dem tatsächlich an der Wand befindlichen Regenrohr kleine, lustige, mit Victory-Zeichen versehene Gestalten in sich hinein, die in einem Bild jenseits des Rohres als Früchte des „Baums der Freiheit“ reifen.

Einige Meter weiter bläht sich ein uniformierter Mann an einem weiteren Regenrohr auf. In seinem Inneren befindet sich, was man als Volk bezeichnen könnte. Rechts ums Eck ein finsterer bärtiger Mann im Salafistenlook, den Yousri allerdings mit kargem schwarzem Strich rings um das Hinweisschild zum Eingang zu der Kellerbar gemalt hat. „Auch Salafisten sind Menschen. Man kann mit ihnen reden“, meint der Künstler und erzählt von einer Begegnung an der Deutschen Universität in Kairo. Eine von den Salafisten ursprüngliche geplante Protestaktion gegen ihn hatte sich Mitte Mai in ein Gespräch aufgelöst.

Yousris Dreifachstrategie

Yousri verfolgt mit seinen Bildern eine Dreifachstrategie. Als Chronist notiert er das Gefressenwerden der revolutionären Subjekte durch die aktuellen Machthaber. „Das Militär ist immer noch die stärkste Kraft. Es hat, als eine Art von Freaks, Muslimbrüder und Salafisten unterstützt, in die Parlamente zu kommen und diese dadurch zu diskreditieren“, meint er. Das Siegerzeichen der Gefressenen – im Innenraum des Ballhauses spreizen auch zwei Erhängte, darunter die durch ein Video über Polizeirepressalien bekannt gewordene „Frau mit dem blauen BH“ Zeige- und Mittelfinger zum Victoy-Zeichen – symbolisiert für ihn die Hoffnung.

„In 50 Jahren wird man Ägypten nicht wiedererkennen“, prognostiziert Yousri. Und wenn er die Schreckensgestalten der Gegenrevolution in komische Zusammenhänge mit einem Hinweisschild zur Bar oder einem Rauchverbotsschild stellt, dann treibt er die Klischees auf die Spitze. „Einige meiner Freunde sind Salafisten. Wenn wir auf ihre Religiosität zu sprechen kommen, streiten wir uns natürlich. Aber über andere Dinge können wir ganz normal reden“, steuert er eine verblüffende Sichtweise auf ein seiner Meinung nach dämonisiertes Phänomen bei.

Verniedlichen will Yousri die jüngsten politischen Rückschläge nicht. Mit seinem Humor will er aber aus der Opferrolle heraus, in die er die Protagonisten der Arabellion oft gerückt sieht. „Wer im letzten Jahr in Kairo auf die Straße ging oder das jetzt in Syrien macht, der weiß, dass er sein Leben aufs Spiel setzt. Und er hat sich dafür entschieden“, sagt Yousri, der nach fünfjährigem Aufenthalt in den USA kurz vor Ausbruch der Revolution nach Ägypten zurückkehrte.

Auch seine Kollegin Laila Soliman geht mit ihren Performances über wohlfeile Empathiebezeugung hinaus. Ihren schon in Berlin gezeigten ersten zwei Episoden der „No Time For Art“-Serie fügt sie im Rahmen des Festivals eine neue Performance an. Sie konfrontiert in „No Time For Art 3“ Zeugenaussagen eines Mannes, der zu Beginn der Revolution im Gefängnis saß, dann von ihr aus den Verliesen befreit wurde, inzwischen aber wieder einsitzt, mit Statements eines befreundeten Künstlers, der während der Revolution seinen Wehrdienst ableistete.

Dies sind Blicke auf Repression und Macht. Sie stammen von Personen, die – weil sie selbst existentiell verstrickt sind – nicht den akademischen Luxus der kühlen, unbeteiligten Analyse für sich in Anspruch nehmen können. Aber sie operieren mit dem Gewicht ihres gesamten Lebens. Emotionale Wucht verleiht „No Time For Art“ die Tatsache, dass viele der Zeugenaussagen von den Betroffenen selbst oder von Familienangehörigen gesprochen werden. Dies ist ein Zeugnistheater besonderer Art. „Voicing Resistance“ ist der Arabellion so nah, wie Kunst der Realität überhaupt nur nah kommen kann – rau, fragend, zornig, von widerstreitenden Empfindungen geprägt.

Die Stimme des Widerstands ist polyphon, dissonant, nicht immer melodisch. Aber sie ist kräftig. Und so nutzt sie das Ballhaus Naunynstraße als Verstärker. TOM MUSTROPH

■ Ballhaus Naunynstraße, bis zum 20. Juni www.ballhausnaunynstrasse.de