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Archiv-Artikel

Die Grünen haben Zukunft

Die deutsche Gesellschaft ist von rot-grünen Werten geprägt – lehnt aber die rot-grüne Regierung ab. Das liegt an der gescheiterten Wirtschaftspolitik, nicht an den Werten

Die Grünen sind in der Wertefrage gut sortiert und innerparteilich kohärent

Ob sie es wollen oder nicht, wahlpolitisch müssen die Grünen Neuland betreten. Erstmals seit 23 Jahren stehen sie im Bund ohne koalitionspolitische Perspektive da. Neu ist die starke Linkskonkurrenz im Westen. Und noch nie war die Kalkulation möglicher Wählerbewegungen so schwierig.

Der erfolgreichste Slogan in der Geschichte der Grünen hieß: „Wer Rot-Grün will, muss Grün wählen.“ Davon bleibt heute der sinnarme Spruch „Wer Grün will, muss Grün wählen.“ Ohne Koalitionsperspektive jedoch ist jede regierungsbereite Kleinpartei, die immer auch Mehrheitsbeschafferin ist, stark gefährdet. Wer wählt eine Partei, von der noch nicht feststeht, welcher machtpolitische Gebrauch von ihr gemacht wird? Es kann dauern, bis die SPD von einer längeren Linksgeschichte in die mehrheitsfähige Position einer Mitte-links-Position zurückkehrt. Schwarz-Grün ist keine Alternative: Auf den ökologisch-libertären Feldern ist der Wertegegensatz zwischen CDU/CSU und Grünen heute so stark wie zwischen PDS und FDP in der Ökonomie. Die Grünen operieren in einem Machtvakuum. Spätere Optionen sind vollständig abhängig von den Entwicklungen bei den beiden Großparteien.

Eine neue Linkspartei löst bei Richtungsakteuren die gewohnten Reflexe aus: Die Linken sagen „Ihr nach“, die Rechten „Um Gottes willen“. Orientiert man sich am Ziel erfolgreicher, eigenständiger Grüner, geht die Argumentation anders und sie führt zum Ergebnis „Kein Kurswechsel“. Bei der NRW-Wahl waren die grünen Verluste an die SPD sieben-, an die CDU noch viermal so groß wie an die WASG. In Richtung links ist also weniger zu verlieren als in Richtung Mitte. Nie waren die Grünen bei den Wählern so stark wie im Reformjahr 2004. Bei allen Befragungen von Infratest dimap lagen sie über 10 Prozent. Nicht die Gerechtigkeitskritik, erst Fischers Visa-Affäre hat sie im März 2005 unter die 10-Prozent-Marke gedrückt. Die Selbstetikettierung der Grünen als moderne „Linkspartei“ zeigt ihre Angst vor der Linkskonkurrenz – für die meisten ihrer Wähler ist sie irritierend.

Einen Umverteilungs-Wettlauf in der Linkskonkurrenz können die Grünen nicht gewinnen. Er ist sachlich irreführend, weil er per se nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt, klientelbezogen nicht stimmig und ein Bruch in der Linienführung der Grünen wäre. Übrigens: Regierungsfähigkeit muss sich auch im Abgang aus einer Regierung beweisen. Durch Berechenbarkeit und Kontinuität.

Ein Stück nachholender Gerechtigkeitspolitik ist verständlich, soweit sie Defizite in Schröders Umbaupolitik zu kompensieren sucht. Sie ist aber nicht der Schlüssel zu einer erfolgreichen Beschäftigungspolitik. Die Grünen sind in ihrer Gerechtigkeitspolitik weiter. Sie sehen die Eindimensionalität des Gerechtigkeitsfaktors, der die Fragen der Wertschöpfung nicht beantwortet. Vor allem betonen sie die Mehrdimensionalität der Gerechtigkeitsfrage. Verteilungsgerechtigkeit bleibt wichtig, an Bedeutung gewonnen haben aber Teilhabe- und Generationengerechtigkeit.

Es gibt „unvermeidbare Verluste“. Bei den Erst- und Jungwählern, die auch noch für verschlissene Pop-Ikonen von Michael Jackson bis Oskar Lafontaine anfällig sind. Ebenso bei früheren Grün-Wählern, die sich vor allem wegen des Kosovokriegs von den Grünen abgewendet hatten und sich nun von Lafontaine aus der Nichtwählerschaft abholen lassen. Unvermeidbar ist auch, dass ein Teil der sozialdemokratischen Randwähler, die Rot-Grün wollten, zur SPD zurückkehren. Das erklärt die Verluste in NRW, wo Rot-Grün schon vor der Wahl am Ende war.

Ohne Lagerwahlkampf hat auch eine Lagerpolarisierung keinen Sinn. Die Grünen brauchten eine andere Begrifflichkeit als die der „schwarzen Republik“, um sich abzuheben vom Wettlauf im Linkspopulismus, der die Gegensätze auf „Sozialabbau“ verengt. Die Intensität der Polarisierung muss den wirklichen Programmdifferenzen entsprechen. Wirtschaft/Finanzen: schwächer. Soziales: stärker. Ökologisch-kulturell: starke Gegensätze. Vor allem beim geplanten Ökologieabbau wäre die „privilegierte Gegnerschaft“, die die Union bei den Grünen sucht, anzunehmen. Das Wächteramt für Ökologie, das die Grünen auch in der Opposition behalten, legitimiert Angriffe und Konflikte.

Verbaut sind also die Alternativen Koalitions- und Lagerwahlkampf. Nicht empfehlenswert ist ein „Programmwahlkampf“ im engeren Sinne, bei dem vor allem über Instrumente geredet wird: Die Grünen kommen gerade aus der Regierung – da zählt Leistung vor Programm. Der Kompetenzzweifel an allen Parteien führt auch zu allgemeiner Programmskepsis; generell interessiert Wähler eher eine Werte- als eine Instrumentendebatte: also Werte anhand von Themen mit Blick auf die Problemlösung.

Wir leben in einer Gesellschaft mit rot-grünem Werteprofil, die Rot-Grün als Regierung ablehnt. Hauptgrund dafür ist deren Versagen auf dem ökonomischen Feld. Die Grünen können nur gewinnen bei einer Wertedebatte, die über das Gesamtspektrum der Werte definiert, wohin sich die Gesellschaft bewegen soll. Die Grünen sind in der Wertefrage gut sortiert (Grundsatz- und Wahlprogramm) und innerparteilich kohärent. Bei den ökologisch-libertären Fragen stehen sie Union und FDP als Repräsentanten einer halbierten Moderne gegenüber. Die SPD ist ohne Werteführerschaft auf irgendeinem Feld und bei fast allen Wertfragen in ihrer Wählerschaft zerrissen. Der Vorteil einer eingeforderten Wertedebatte bestände unter anderem in der Umgehung des Koalitionsthemas. Grüne definieren sich über Werte. Wo die SPD will, kann sie sich anschließen.

Regierungsfähigkeit muss man auch im Abgang beweisen. Durch Berechenbarkeit und Kontinuität

Es wird viel Scheinpolarisierung geben in diesem Wahlkampf. In Wirklichkeit fehlt die große Alternative und es kommt auf Anschlüsse an. 1998 hat Rot-Grün sinnvolle Anschlusshandlungen verschmäht (zum Beispiel bei der Rentenpolitik) und musste sie dann aufwändig nachholen. Auch die nun zu erwartende bürgerliche Regierung wird auf dem ökonomisch-sozialen Feld effiziente und weniger effiziente Maßnahmen ergreifen. Man wird sehen, wie weit sie mit der Senkung von Lohnnebenkosten, der Flexibilisierung von Arbeit, einer staatlichen Förderung von Dienstleistungen im unteren Einkommensbereich oder der Haushaltssanierung kommt und wie sehr sich durch die Summe aller Maßnahmen auch Arbeitslosigkeit verringert. Anschluss und Differenz gegenüber einer neuen Regierung – beides muss eine Opposition leisten, die sich selbst als Regierung im Wartestand versteht. Schon im Wahlkampf muss sie sich darauf vorbereiten.

Nach dem Ende dieser rot-grünen Regierung, die Schröder nun als unzeitgemäß erklärt, obwohl er an der SPD-Linken und vor allem an sich selbst gescheitert ist, müssen die Grünen unbefangen Anschlüsse und Differenzen neu definieren. Wechselseitigen Schuldzuweisungen von Rot und Grün fehlen Stil und Charakter. Beide wollen sich nachträglich auf Kosten des anderen größer machen und verlieren dabei gemeinsam.

JOACHIM RASCHKE