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Archiv-Artikel

Mode? Totalüberwachung!

SYMPOSIUM Auf der Suche nach dem Unangepassten: Trendforscher und Soziologen in der Akademie der Künste

Agenten der Vereinnahmung referierten über die Strategien, der Vereinnahmung zu entkommen

Mit der Wahl seiner Klamotten drückt man sein Verhältnis zur Welt aus. Mode ist Kommunikationsmedium, bietet Möglichkeiten, sich von anderen zu unterscheiden, schärft das Bild einer Persönlichkeit. So weit die Theorie. In Berlin, nun schon seit Jahren kommende Modehauptstadt und ewige Stadt junger Designer, ist Mode in Wahrheit längst ein Gleichmacher.

Niemand will sich vorwerfen lassen, irgendeinen Trend verschlafen zu haben. Deswegen rennen lieber alle in den gleichen zu engen Hosen rum, tragen T-Shirts mit originellen Aufdrucken und Brillen mit zu großen Gestellen. Was aber genau führt dazu, dass die Leute in der Schlange vor dem Berghain so aussehen, wie sie aussehen? Was sagt dieses Aussehen eigentlich noch aus?

Dieser Frage wollte in der Akademie der Künste am Pariser Platz ein groß angelegtes Symposium mit dem Titel „Fashion@-Society: Mode trifft Politik“ nachgehen, das von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Goethe-Institut ausgerichtet wurde. Eine Erkenntnis aus dieser Veranstaltung ist, dass der Jugendliche durch Zielgruppenforschung, Lebensweltanalysen, Jugendkulturforscher und Soziologen, durch Blog-Beobachter und Ersteller von Milieudiagrammen total überwacht wird.

Zu Tode analysiert

Die neue, unangepasste Jugendkultur, die so viele vermissen, die vielleicht selbst einmal Punk waren, wird es gar nicht mehr ge- ben können, weil sie schon vor ihrer Entfaltung totanalysiert werden würde. Die bunten T-Shirts und die Nerdbrillen, so scheint es fast, werden vor allem deswegen getragen, damit die Jugendkulturforschung auch in Zeiten, in denen es kaum noch echte Jugendkulturen gibt, weiterhin etwas zu tun hat und Modephänomene interpretieren darf.

Welche Strategien Jugendliche dennoch anwenden, um immer wieder neu der Vereinnahmung ihrer Stile zu entkommen, wurde auf dem Symposium lustigerweise ja von den Agenten der Vereinnahmung, den Akademikern und Trendbeobachtern, referiert. Forschungsgegenstände – die Sozialpädagogin Claudia Lübcke etwa forscht über junge Muslime in Deutschland und will bereits „Popmuslime“ ausgemacht haben – kamen bei einer derartigen Veranstaltung nicht auf das Podium.

Oder Black Metal, inzwischen auch ein Fall für die Theorie. Mit dieser Subkultur beschäftigt sich Jan Grünwald von der Goethe-Universität Frankfurt. Wie entwirft sich Black Metal als Musikgenre des absolut Bösen? Grünwald zeigt Black-Metal-Ikonografien, bemüht Theorien von Slavoj Žižek und Jean Baudrillard, und am Ende seines Vortrags weiß dann selbst der Symposiums-Moderator Ole Tillmann, der früher einmal als Dauergrinser „Top of the Pops“ präsentierte und wenig Black-Metal-affin wirkte, wie sich „Abweichungsstrategien archaischer Männlichkeit“ gestalten lassen. Sieht man demnächst Typen mit den Kennzeichen dieser archaischen Männlichkeit in der Schlange vor dem Berghain stehen, weiß man jetzt immerhin, was diese daheim für Musik hören. ANDREAS HARTMANN