: Ein bedrohtes Wunder
KRIEGE Eine Forscherin und eine Ärztin kämpfen dagegen an, dass wir unsere Antibiotika verplempern – und dass zu wenig neue entwickelt werden
■ Im Großen. Das müsste sich im Gesundheitssystem ändern, damit Antibiotika nicht so schnell wirkungslos werden: Der Staat müsste universitäre Forschung im Bereich Antibiotika wirkungsvoller fördern. Und Anreize für die Pharmaindustrie schaffen, sie zu entwickeln. Die Zulassungsbedingungen für Antibiotika müssten erleichtert werden. Helfen würden auch klare Linien, wann welches Antibiotikum für welche Dauer eingesetzt werden darf. Die Hygiene in Kliniken müsste sich verbessern. Ärzte, die Antibiotika verschreiben, müssten geschult werden.
■ Im Kleinen. Was können Patienten tun? Wer Antibiotika verschrieben kriegt, sollte den Beipackzettel gründlich lesen. Antibiotika nur in richtiger Menge und richtiger Dauer schlucken, sonst züchtet man schnell resistente Bakterien. Hände waschen! Vor allem nach dem Kochen von Fleisch und Eiern. Und: Gegen eine Erkältung hilft kein Antibiotikum. Nicht den Arzt bedrängen, es zu verschreiben, sondern alternative Behandlungen akzeptieren.
VON MARIA ROSSBAUER
Wenn es gut läuft, schafft Escherichia coli 45 Mikrometer pro Sekunde. Ein gewundener Schwanz schiebt das pillenförmige Wesen wie von einem Propeller getrieben durch den menschlichen Körper. Schon nach Minuten kann das Bakterium am Ziel sein. Zum Beispiel: an der Blase. Dort angekommen, klebt es sich mit langen, dünnen Fäden an die Körperzellen. Oder es bildet eine schleimige Hülle um seinen fünf Mikrometer großen Körper, um besser hängen zu bleiben. Denn hier wird es sich nun hemmungslos ausbreiten: Genau genommen vermehrt sich Escherichia coli alle zwanzig Minuten. Es spaltet sich einfach auf. So können bald schon Millionen seiner Art Körperzellen zerstören, können Gifte versprühen. Was folgt, sind Höllenschmerzen. Dem Menschen hilft dann oft nur eine Waffe: Antibiotikum.
„Im Grunde geht es hier um einen Krieg, Mensch gegen Bakterium“, sagt Julia Bandow. „Und den müssen wir gewinnen, wenn wir überleben wollen.“ Sie lehnt sich in einen Drehstuhl in ihrem Büro der Uni Bochum: Die Wände betongrau, die Fensterrahmen grün, vor dem Fenster rauchen Studenten. Drei Zimmer sind der Mikrobiologin und ihrem Team hier zugeteilt, dazu einige Laborplätze. Nicht gerade viel für den Kampf gegen das Ende eines Zeitalters. Das Ende der Wunderwaffe Antibiotikum. Es droht.
„Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt“, warnt die Weltgesundheitsorganisation, „die Resistenz gegen vorhandene Antibiotika hat beispiellose Ausmaße erreicht, und neue können nicht schnell genug bereitgestellt werden.“ Allein in Deutschland, schätzt das Bundesministerium für Gesundheit, sterben bereits jedes Jahr etwa 15.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Bakterien: Keime, die nicht nur gegen eine, sondern gleich gegen mehrere verschiedene Antibiotika Abwehrstrategien entwickelt haben. Sie sind nur noch schwer totzukriegen. Wie Ehec – eine Form von Escherichia coli. Experten vermuten, dass weltweit mehr Menschen an Infektionskrankheiten durch resistente Bakterien sterben als an Aids.
Schuld an dieser Antibiotika-Krise sind wir selbst: Zu lange sind wir achtlos mit dem kostbaren Medikament umgegangen, hielten es für selbstverständlich. Wir werfen noch immer viel zu viel davon ein, schlampig und respektlos, Ärzte verschreiben es bei Schnupfen, obwohl es gegen Viren überhaupt nicht helfen kann, Züchter pumpen Tiere damit voll, bis sie resistente Keime in sich tragen. So konnten die Bakterien aufrüsten.
„Klar, so luxuriös wie bei Pfizer ist es hier natürlich nicht“, sagt Julia Bandow. Sie lächelt, ganz kurz nur. Sechs Jahre hat die Forscherin für den Pharmariesen in den USA gearbeitet. Ihr dunkelblonder Pony fällt in ihre Stirn, die Haare sind praktisch geschnitten, kurz und glatt. Bandow tritt auf wie eine, die anpackt, macht, nicht lange fackelt.
Bei Pfizer sollte Bandow eigentlich in der Antibiotikaforschung arbeiten. Doch nach einem halben Jahr wurde sie abgezogen: Diabetes, Raucherhusten. Sie wollte aber zurück zu genau diesem Thema. Denn Bandow, 36 Jahre alt, merkte schon während ihrer Doktorarbeit vor zehn Jahren: Es kommt etwas auf uns zu, eine Bedrohung. „Es gab damals schon viel zu wenig vielversprechende Substanzen für neue Antibiotika“, sagt sie. Heute ist sie eine der wenigen Forscher in Deutschland, die nach neuen Antibiotika-Wirkstoffen sucht.
Herbst, 1928, St. Mary’s Hospital in London. Alexander Fleming nimmt seine Bakterien aus dem Schrank, sie leben bei ihm in runden, flachen Plastikdöschen auf einer geligen Masse. Der Bakteriologe sieht die Döschen durch, er muss sich geärgert haben. Über eine seiner Kulturen ist ein Schimmelpilz hergefallen. Ein hundsgewöhnlicher, der sich überall, auf Brot, Gemüse, Marmelade, breitmacht: Penicillium notatum. Das passiert hin und wieder in Labors, Forscher werfen die verdorbenen Proben normalerweise weg. Doch in jenem Herbst sah Fleming, Sohn eines schottischen Bauern, für einen Moment genauer hin. Am Rand des flauschig hellen Pilzes hatte sich ein schmaler, durchsichtiger Rand gebildet. Fleming legte das Döschen unters Mikroskop. Und erkannte etwas Verblüffendes: In direkter Nachbarschaft zum Pilz lebten keine Bakterien. Der Pilz musste irgendetwas ausscheiden – einen Stoff, der Bakterien tötet. Er nannte ihn Penicillin.
Dass seine Entdeckung einmal auch Bakterien in Menschen töten und sie so heilen könnte, daran denkt Fleming zunächst kein bisschen. Erst 1939 picken andere Wissenschaftler den Stoff aus dem Pilz, geben ihn 1941 zum ersten Mal einem Menschen. Der Siegeszug der Antibiotika gegen die Bakterien beginnt.
Julia Bandow zieht ihre Cordhose ein wenig zurück, hebt ihren rechten Fuß auf den Tisch und legt einen Pack Labor-Kühleis darauf: Eine Bremse hatte sie gebissen. Der Knöchel schwoll an, wurde noch dicker. Nun nimmt sie selbst ein Antibiotikum. Sie hat es ohne versucht, vier Tage, die Infektion wurde schlimmer. Dann verschrieb ein Arzt ihr das Mittel. Bandow will, dass so etwas auch in Zukunft möglich ist.
„Wir brauchen viele verschiedene Antibiotika, die auf unterschiedliche Arten die Bakterien angreifen“, sagt die Forscherin. Wenn ein Bakterium immun gegen ein Antibiotikum ist, müsse man es eben auf eine andere Art zerstören. Doch: Wirklich neue Waffen sind nicht in Sicht. Die Neuzulassungen für Antibiotika gehen seit Jahren zurück. Zwischen 1982 und 1991 kamen noch 28 neue Antibiotika-Wirkstoffe auf den Markt, 2001 bis 2011 gerade mal 13 – fast alle mit bekannten Angriffsstrategien. Der Grund: Antibiotika lohnen sich für Pharmafirmen nicht. Ein neues Medikament zu entwickeln kostet rund 800 Millionen Euro und dauert zehn bis fünfzehn Jahre. Dann erst entscheidet sich: lassen es die Behörden zu oder nicht. „Eine Zulassung für Antibiotika zu bekommen, ist extrem schwer“, sagt Bandow. Man müsse beweisen, dass die Substanz nicht schlechter wirkt als etwas, was schon am Markt ist. Gerade bei Antibiotika ergebe das aber keinen Sinn: „Antibiotika müssen Bakterien nicht besser oder schlechter töten, sondern einfach nur anders.“ Sie fordert, dass die Zulassungsbedingungen geändert werden.
Selbst wenn ein neues Antibiotikum die Zulassung kriegt: Am Ende blieben die Einnahmen gering, denn die Patienten schlucken die Antibiotika meist nur ein paar Tage, Cholesterinsenker im Zweifel bis ans Ende ihres Lebens – für Pharmafirmen ein besseres Geschäft. Die Firmen wollten einfach Gewinne, stellt Bandow fest. Daher brauche es Anreize aus der Politik, die die Produktion nicht so lukrativer Medikamente schmackhaft machen. Und mehr Unistellen zur Forschung an Antibiotika.
Von Freiburg aus geht es gegen die Ticks der Ärzte
Doch es geht nicht nur darum, neue Waffen zu schmieden. Um gegen Resistenzen zu kämpfen, muss man auch dafür sorgen, dass die, die wir haben, nicht stumpf werden. Das versucht knapp fünfhundert Kilometer von Bochum entfernt eine andere Frau, sie arbeitet an der Uniklinik in Freiburg, Katja de With, 44 Jahre alt.
De With beugt sich über ihren Rechner, drückt ein paar Tasten und dreht sich zu ihren Zuhörern – Ärzte, Apotheker, rund dreißig, die aus Krankenhäusern aus ganz Deutschland nach Freiburg gekommen sind. Der Fußboden des Seminarraums ist aus Holz, die Tische auch, die Luft steht. „Wir brauchen mehr rationale Antibiotikatherapie“, sagt de With. Sie spricht laut und betont das Gesagte mit Gesten. De With – kurze braune Haare, bequeme Wanderschuhe, Jeans – leitet das Antibiotic Stewardship, eine Art Antibiotika-Crashkurs für Mediziner und Apotheker. Der einzige dieser Art in Deutschland.
Rationale Antibiotikatherapie: De With meint damit klare Vorgaben, Leitlinien, wann Ärzte welches Antibiotikum verschreiben sollen und für wie lange. Solche Leitlinien gibt es bisher in Deutschland kaum, Ärzte verschreiben viel nach Erfahrung oder Empfehlungen.
De With arbeitet an solchen Leitlinien mit – und versucht sie in die Köpfe von Medizinern zu bringen. Sie ist für diese Arbeit gerüstet, denn sie ist Ärztin und Apothekerin, sie kennt sich mit Krankheiten und Symptomen aus und weiß zudem, wie Medikamente genau wirken und warum. Sie kennt auch die Ticks beider Berufsgruppen und schafft es so, Ärzte und Apotheker an einen Tisch zu bringen – was im Gesundheitssystem auch nicht allzu häufig vorkommt.
„Wir verordnen in Deutschland viel zu viel Antibiotika“, sagt de With. Neun von zehn Ärzten verschreiben mindestens einmal pro Woche ein Antibiotikum, ermittelte das staatliche Robert-Koch-Institut. Bis zu fünfzig Prozent des kostbaren Medikaments verschreiben Ärzte ohne Notwendigkeit, schätzt die angesehene Paul-Ehrlich-Gesellschaft. Und selbst wenn Menschen das Mittel brauchen, verordnen Ärzte oft nicht das richtige Antibiotikum in der richtigen Dosierung für die richtige Dauer.
„Viele Patienten verlangen auch einfach nach Antibiotika“, sagt de With. Zu sehr hat sich Antibiotika als Allheilmittel in die Köpfe der Menschen geschlichen. Zu viele Ärzte prüfen oft die genaue Krankheitsursache nicht oder wollen einfach nicht diskutieren und verschreiben es – selbst bei Krankheiten, bei denen es gar nicht helfen kann, wie einer Erkältung. Antibiotikum als Edelplacebo.
In den Fünfzigern kommen Bakterien nicht weit. Selbst jene, die zuvor den sicheren Tod bringen, merzen Antibiotika schnell aus. Ganze Heerscharen haben im Zweiten Weltkrieg die Tabletten eingeworfen und durch Penicillin überlebt. Firmen züchten in riesigen Tanks den Penicillin-bildenden Pilz, über die Jahre wird Penicillin zum billigen Zaubermittel, in manchen Ländern kaufen die Menschen es in der Drogerie, manchmal tütenweise. Weil Penicillin so erfolgreich ist, werden immer mehr solcher Waffen gegen Bakterien gesucht, entdeckt, produziert, geschluckt.
Fleming hat mit seiner Entdeckung die Medizin des 20. Jahrhunderts revolutioniert. Im Jahr 1945 bekommt er dafür den Medizin-Nobelpreis. Doch schon an dem Tag, als ihm der König von Schweden die Ehrung überreicht, warnt Fleming: Es könnte der Tag kommen, an dem Bakterien resistent werden gegen Penicillin. Ihm ist wohl damals schon klar: Wenn wir nicht achtsam mit Antibiotika umgehen, wird das Wunder nicht von Dauer sein.
„Infektionskrankheiten gehören zu den häufigsten aller Krankheiten“, sagt Katja de With. „Aber es gibt in Deutschland keinen Facharzt für Infektiologie. Erschreckend, oder?“ Mit dem Antibiotic Stewardship versuchen de With und ihre Kollegen, diese Lücke zu schließen – oder zumindest ein wenig zu stopfen. Ganze 90 Ärzte, die sich nun ausgewiesen mit Antibiotika auskennen, hat de With bisher ausgebildet. Nicht gerade beruhigend viel.
Da ist noch ein Problem: Über 80 Prozent aller Antibiotika verordnen Hausärzte. Gerade die sitzen nicht bei de With im Schulungsraum. Eigentlich, findet sie, müssten für sie solche Kurse verpflichtend sein. Katja de With schüttelt den Kopf, ganz langsam, es scheint in ihr zu arbeiten. „Die Chance ist, dass die Kollegen hier das weitertragen“, sagt sie schließlich. So könnte irgendwann das Problem mit den Antibiotika auch draußen, außerhalb der Kliniken ankommen.
Und plötzlich reagieren einige Bakterien nicht mehr auf Antibiotika. Erst ein paar Jahre gibt es Penicillin als Medikament zu kaufen. Die ersten resistenten Bakterien. Sie tragen etwas in ihrem Erbgut, das sie widerstandsfähig gegen einen Antibiotika-Angriff macht. Vielleicht können sie die Eintrittspforte für das Antibiotikum dichtmachen. Oder sie bilden Enzyme, die es ausschalten. Ein einziges Bakterium im Körper, das so etwas kann, genügt. Denn auch Bakterien rivalisieren, um Nahrung, um Platz. Kommt ein Antibiotikum hinzu, überleben diejenigen Bakterien, die zufällig resistent sind – und können sich dann ungehindert vermehren: Das Antibiotikum beseitigt die Konkurrenten.
Über die Jahre tauchen immer mehr Bakterien auf, die immun sind gegen Antibiotika. In Deutschland gibt es heute unter allen krankmachenden Bakterien Stämme, die gegen Mittel resistent sind, die sie doch eigentlich umbringen müssten. Über die Hälfte aller Escherichia coli sind mit Ampicillin nicht mehr totzukriegen, auch nicht mehr mit vielen anderen Antibiotika. Tendenz steigend. Auch multiresistente Erreger, die Hauterkrankungen oder Tuberkulose auslösen, werden zum Problem.
„Je mehr Antibiotika wir nehmen, desto mehr stellen sich Bakterien auf die veränderte Situation ein“, sagt de With. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für Resistenzbildungen. Sie steigt auch, wenn Patienten die Antibiotika nicht konsequent schlucken – zu lange, zu wenige oder zusammen mit Essen, das die Wirkung aufhebt. So züchtet man seine eigenen resistenten Bakterien und überträgt sie womöglich auf Partner, Kinder, Kollegen. „Das Problem ist auch, dass es in vielen Ländern Antibiotika rezeptfrei gibt“, sagt de With. Der Verbrauch ist dort weit höher, und damit gibt es auch mehr resistente Keime. In einigen Ländern reagieren manche Bakterienstämme auf so gut wie kein Antibiotikum mehr. Diese Keime können nach Deutschland eingeschleppt werden.
In Freiburg leitet de With auch eine Ambulanz für Patienten mit multiresistenten Erregern. Der häufigste Fall, mit dem sie es zu tun bekommt: Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, MRSA. Ein Keim, der sich gegen so einige Antibiotika-Angriffsstrategien gerüstet hat. Das Bakterium existiert überall in der Natur, lebt bei vielen Menschen unbemerkt auf der Haut oder in der Nase. Die Menschen sind besiedelt, so beschreibt es de With. An sich noch kein Problem, doch: Ist deren Immunsystem geschwächt, oder gibt es offene Wunden, breiten sich die Besiedler schnell aus. Es kommt zu Entzündungen, nicht heilenden, eitrigen Wunden, Blutvergiftungen – manchmal endet es tödlich.
In Deutschland ist inzwischen jede vierte dieser Bakterienarten multiresistent. In einigen Krankenhäusern sind es mehr als die Hälfte. Gerade dort infizieren sich Menschen nicht selten mit MRSA. Größtes Problem: Intensivstationen. Operationen, die den Keimen leichten Zutritt in offene Wunden verschaffen, mangelnde Hygiene, Menschen mit schwachem Immunsystem.
De With behandelt in Freiburg vor allem jene, bei denen sich eine harmlose Besiedelung leicht in eine gefährliche Infektion verwandeln könnte: chronisch Kranke, Menschen mit Blasenkatheter, Krebspatienten. Oft haben sie kaum oder keine äußeren Symptome. De With versucht mit Waschungen oder Salben Bakterien wie MRSA loszuwerden. Bei anderen Infektionen mit multiresistenten Keimen, zum Beispiel aus dem Urlaub eingeschleppten, sucht sie nach Antibiotika, die noch gegen den jeweiligen Erreger wirken. „Wir können die Patienten meistens schon noch behandeln“, sagt de With, „aber es wird schwieriger.“
Was also, wenn bald nicht mehr nur multi-, sondern quasi omniresistente Bakterien in uns eindringen? Solche, die gegen alle Antibiotika immun sind?
Medizinisch gesehen fallen wir dann zurück ins Jahr 1940. Bevor ein Antibiotikum zum ersten Mal einen Menschen heilte.
„Wir haben vielleicht noch genügend Antibiotika für die nächsten drei oder vier Jahre“, sagt Julia Bandow in Bochum. Sie schlüpft in ihren weißen Laborkittel, zieht Plastiktütchen über ihre Schuhe und hält einen grauen Plastikchip gegen ein Lesegerät am Laborgang. Pieps. Die Tür geht auf. „Es gibt nichts in der Entwicklung mit wirklich neuen Angriffspunkten“, sagt Bandow.
Nichts, was die besonders resistenten Keime stoppen könnte.
Und die entstehen schnell. „Selbst wenn ich jetzt einen Wirkstoff finde, würde es mindestens zehn Jahre dauern, daraus ein Medikament zu entwickeln“, sagt sie. Zu lange.
Die Weltgesundheitsorganisation
Es bräuchte mehr Reserven. Als letzte Waffe
Für den Kampf gegen multiresistente Keime brauche es so einiges: bessere Diagnosemethoden, um genau herauszufinden, welche Bakterien sich in den Menschen tummeln, bessere Hygienebedingungen in den Krankenhäusern, ähnlich wie in den Niederlanden – dort sind die Resistenzzahlen weit geringer als in Deutschland. Und mehr Antibiotika, die nicht frei auf dem Markt vertrieben werden: Reserveantibiotika, zurückbehalten für den Notfall, als letzte mögliche Waffe.
Sicher: Die Bundesregierung hat die DART-Strategie ins Leben gerufen, eine Art Masterplan, der den Resistenzentwicklungen entgegenwirken soll, das Europäische Parlament mahnte letztes Jahr, die Verwendung von Antibiotika müsse strengeren Regeln unterworfen werden. Und so manche Politiker flüstern, ob man nicht doch Tierhalter daran hindern könnte, tonnenweise Antibiotika präventiv ins Trinkwasser ihrer Hühner zu kippen, schließlich können sich auch in den Hühnern resistente Keime entwickeln und dann – durch Stallmist, Dünger, Lebensmittel – Menschen anstecken. Doch: „Mir fehlt die Dringlichkeit in der Diskussion“, sagt Julia Bandow. Es müsse schneller gehen, mehr passieren. Die Zeit läuft.
Wie tötet man ein Wesen, das in einem steckt? Viele Bausteine in menschlichen Zellen und Bakterienzellen sind sich ähnlich. Grobe Waffen würden alles vernichten – uns mit. Man muss das Bakterium dort angreifen, wo der Unterschied steckt. An einer Stelle, die es bei einer menschlichen Zelle nicht gibt. Bisher gibt es dafür drei Möglichkeiten. Erstens: Zellwand angreifen. Antibiotika wie Penicilline schaffen, dass das Bakterium in dem Moment, in dem es sich teilen will, platzt. Zweitens: verhindern, dass das Bakterium bestimmte Bausteine produziert, die es für einen Nachkommen bräuchte. Das machen Antibiotika wie Tetracycline. Drittens: Angriff auf die Erbinformation. Fluorchinolone zum Beispiel verhindern, dass sich die Bakterien-DNA vermehrt. So bleiben die Bakterien im Teilungsprozess einfach stecken.
Für jeden dieser Angriffe gibt es schon Bakterien, die dagegen resistent sind. Es braucht also ganz neue Waffen.
Bandow holt ein durchsichtiges Plastikgefäß aus dem Kühlschrank, legt es auf die Laborbank. Hier drin sucht sie nach neuen Waffen. Vielleicht einen Stoff mit einer Struktur, die die Bakterien noch nicht kennen. Oder einer, der an einer ganz anderen Stelle das Bakterium angreift. Und so tötet. Das wäre toll.
Doch am Ende, sagt sie, werden die Bakterien eh gewinnen.
Wie bitte?
Sie hält den Kampf gegen die Bakterien doch für dringlich, sie hat ihn zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Und dann hat man plötzlich den Eindruck, dass sie ins Schwärmen gerät. „Bakterien sind die ältesten Lebewesen dieses Planeten, haben alle möglichen Nischen erobert.“ Eis, heiße Quellen, tiefe Ozeane. Bakterien leben unter Druck, zusammen mit radioaktiven Stoffen, ernähren sich von Giften. „Bakterien sind enorm anpassungsfähig und werden das immer sein“, sagt Bandow. Eigentlich sei das unglaublich.
Sie ist fasziniert von Bakterien, ganz klar. Aber sie will sie umbringen.
Bandow lässt Desinfektionsmittel über ihre Hände laufen. „Ich glaube, dass es nie einen Stoff geben wird, gegen den Bakterien nicht doch wieder einen Weg finden“, sagt die Forscherin.
Es geht eigentlich nur darum, Zeit zu gewinnen, sagt Bandow. Zeit für den Menschen.
■ Maria Rossbauer, 31, sonntaz-Autorin mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaft. Letztes eingenommenes Antibiotikum: Ciprofloxacin gegen Blasenentzündung