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Hanseatische Polychromie

Farbig bauen? So etwas war der Hamburger High Society meistens denn doch zu bunt. Ein Band dokumentiert aber, dass die Moderne auch an der Elbe für ein paar Tupfer sorgte

Von Bettina Maria Brosowsky

Wie baut man mit Farbe? Und das ausgerechnet im verklinkerten Hamburg? Dank des Bauhaus-Jubeljahres 2019 hat man auch in dieser Frage neue Einsichten gewonnen. Denn der 100-Jahre-Rückblick war auch jenseits seiner originären Schauplätze Weimar, Dessau und Berlin sehr produktiv. So steuerte die Freie Akademie der Künste in Hamburg die Ausstellung „Bauhaus in Hamburg: Künstler, Werke, Spuren“ bei. Eine Begleitpublikation des Hamburgischen Architekturarchivs vertiefte viele personelle wie pädagogisch konzeptionelle Verflechtungen der Hamburger Gewerbeschule mit dem Bauhaus während der Weimarer Republik bis hinein in die Nachkriegsjahrzehnte. Ein Symposion beschäftigte sich zudem mit dem Reformwohnungsbau der 1920er-Jahre in Hamburg und Altona.

Eine gleichfalls 2019 abgehaltene Tagung hatte sich der Farbe in der Architektur gewidmet: Auch zu ihr liegt mittlerweile ein Dokumentationsband vor. Herausgegeben haben ihn das Hamburger Denkmalschutzamt und, naheliegenderweise, die Karl-Schneider-Gesellschaft. Denn das Phänomen des farbigen Bauens wird an Schneider (1892–1945) als dem einzigen international beachteten Vertreter einer Moderne in Hamburg untersucht. Er stand auch bereits im Blickpunkt des Symposions zum Reformwohnbau der Zwischenkriegsjahre, da er sowohl in der Hansestadt als auch im damals noch selbstständigen Altona vorbildhafte Wohnarchitekturen realisieren konnte.

Aber Farbe? Gibt denn in Hamburg nicht das allgegenwärtige Sichtmauerwerk mit seinen Rot-Blau-Violett- oder auch Gelb-Grün-Schwarz-Paletten den Ton an, gerade auch während der Schaffensjahre Schneiders?

Ganz so einfach ist die Sache dann nicht. Denn mit dem gebürtigen Hamburger Gottfried Semper (1803–79), der zwar in seiner Heimatstadt nur marginale Wirkung als Architekt entfalten konnte, existiert ein lokaler Vordenker polychromen Bauens. In betuchtem Elternhaus intellektuell gefördert aufgewachsen, entdeckte Semper während junger Jahre auf Reisen durch Italien und Griechenland die ursprüngliche Buntheit antiker Bauten. So kolportierte er zumindest seine Feldforschungen in der Schrift über die farbig „bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“, 1834 in Hamburg erschienen.

Für Wandflächen wählte Karl Schneider in der Regel einen hellen Anstrich, oder, wenn es mehr kosten durfte, Edelputz aus Muschelkalk

Sempers Gedanken wurden allerdings weniger ob ihres eigentlichen Inhalts wahrgenommen, sondern vielmehr als radikalrepublikanische Kampfansage an die „Elb­chaussee-Konvention“ eines monochromen, pastellig hellen Klassizismus: Sie war Ausdruck eines großbürgerlichen Gesellschaftsverständnisses. Auch in seinen späteren Wirkstätten – Dresden, London, Zürich, Wien – baute Semper keine bunten Architekturen. Seine immer weiter ausgearbeiteten Thesen bildeten eine kritisch empirische Kulturgeschichte, im Bereich der Architekturtheorie eine tektonische, eben auch auf Farbe gestützte Systematik alles Gebauten. Sie diente Semper als historisches Gedankenmodell architektonischer Grundelemente, aber auch zum Antizipieren künftiger gesellschaftlicher Aufgaben und ihrer baulichen Selbstdarstellung.

Mit einer solchen Methodik der Farbe im Bauen, also nicht nur als ästhetischer Faktor, konnten Prot­ago­nis­t:in­nen der Zwischenkriegsmoderne, auch am Bauhaus, erstaunlich viel anfangen. In Hamburg wurde gar 1925 der „Erste Deutsche Farbentag für Architektur“ abgehalten, zudem gab es hier mit der Malereifirma Peter Gustaf Dorén einen Verfechter farbiger Fassaden, der kraft seines Handwerks gegen den ortsüblichen „Klinkerrausch“ opponierte. Ein nun wahrhaftiger Farbrausch ergriff die Stadt Magdeburg: Unter 80 öffentlichen Bauten erhielt sogar das klassizistische Rathaus eine mutige Farbfassung, denn Anstriche waren ein preiswertes und optisch effizientes Mittel, um in wirtschaftlich prekärer Zeit einem unübersehbaren Investitionsstau entgegenzuwirken.

Wichtige Impulse kamen dabei vom später in Berlin tätigen Bruno Taut (1880–1938). In Magdeburg hatte er als Stadtbaurat in den frühen 1920er-Jahren den Einsatz von Farbe als Teil einer durch Artikel, Ausstellungen und Vorträge flankierten „Erweckungsarbeit“ forciert. Es ging darum, den Bürger:in­nen die Augen für die latente Schönheit ihrer Stadt zu öffnen.

Für einen „taktvollen Einsatz“ von Farbe und Material plädierte hingegen Karl Schneider, so die Autorinnen Birgit Nelissen und Eberhard Pook im Tagungsband. Schneider verfolgte das Zusammenwirken von Materialwert, die Baustruktur klärender Farbigkeit und natürlichem wie künstlichem Licht, alles im Dienste von Bauproportion und Gliederungsrhythmus. Allerdings ist die Quellenlage dünn, da Schneiders Arbeitsarchiv, das er 1938, bei seiner Emigration in die USA im Wesentlichen zurücklassen musste, dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel. Aber Befundsicherungen an seinen Bauten gelangten in den letzten Jahren zu wichtigen Erkenntnissen. Charakteristisch für Schneider ist das Zusammenspiel von Sichtmauerwerk und Putz.

Beim Verblendmauerwerk verwendete er alternative Möglichkeiten: Entweder betonte er die Fugen durch kontrastierend hellen Mörtel in ihrer grafischen Wirkung oder er homogenisierte die Flächen durch farbig angepasste, durchgefärbte Fugen, etwa beim zentralen Block der Jarrestadt in Winterhude.

Für Putzflächen wählte er in der Regel einen hellen Anstrich, oder, wenn es etwas mehr kosten durfte, einen Edelputz aus Muschelkalk. Dessen heller Schimmer verlor sich bei diesigem Wetter in ein leichtes Grau, so eine zeitgenössische Schilderung. Zu einem regelrechten Markenzeichen Schneiders wurde die farbige Behandlung der Fenster- und Türkonstruktionen, hier kombinierte er zwei oder drei, auch kontrastierende Töne. In der Regel wurden Blendrahmen oder Blockzargen farblich anders behandelt als die Türblätter und Öffnungsflügel, manchmal auch noch deren Glashalteleiste abgesetzt.

Das Ergebnis war ein übergeordnetes visuelles System aller Türen und Fenster – in der Außenwahrnehmung. Denn ein Farbkonzept der Innenräume wich davon ab: Die Innenseiten von Fensterflügeln oder Terrassentüren wurden integrativer Bestandteil der Farbstimmung eines Wohnraums, Schlaf- oder „Herrenzimmers“. Mit zwei in ihrer Farbigkeit restaurierten Bauten, der öffentlichen Turnhalle in Hamburg-Farmsen und dem privaten Wohnhaus Müller-Drenkberg in Hamburg-Ohl­stedt, liegen mittlerweile Belege nicht nur einer Schneider’schen, sondern einer weiteren konzeptionellen Polychromie vor, erdacht in der Hansestadt. Und auch in den Treppenhäusern von Schneiders Geschosswohnbauten werden nach und nach die ursprünglichen Farbfassungen wiederentdeckt – teils in überraschend kräftigen Rot-Orange- und Gelb-Tönen.

„Farbe in der Architektur: Karl Schneider in Hamburg“: Denkmalschutzamt Hamburg (Hg.), Verlag Ludwig, Kiel 2022, 208 S., 39,90 Euro

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