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berliner szenenSpeeddating in der S-Bahn

Die S-Bahn steht lang in der Friedrichstraße, das Abteil ist voll. Mir gegenüber sitzt eine Frau mit kleinen blonden Löckchen. Sie trägt eine Jogginghose, hält eine Reisetasche auf ihrem Schoß und sieht mich schon die ganze Zeit an. Ihr Blick ist freundlich, aber irgendwie durchdringend. Ich lächele sie kurz über meiner Maske an, sehe dann wieder in mein Handy, spüre dabei aber weiterhin ihren Blick auf mir.

Die S-Bahn steht noch, immer mehr Leute kommen von der Treppe und springen in den Wagen. Mittlerweile ist es so voll, dass kaum mehr jemand hereinpasst. Da geht das Licht aus. Es ist stockfinster im Wagen. Ich sehe mich um, alle tun so, als sei das normal, nur die Frau gegenüber hebt ihre Augenbrauen und sagt fröhlich: „Jetzt wird es hier aber richtich jemütlich.“ Ich lache. Sie sagt: „Noch’n paar Teelichter und n’schönet Weinchen und wir lernen uns alle richtich romantisch kennen.“

Ich sage: „Das wär doch mal’ne Idee.“

„So’ne Art S-Bahn Speeddating“, sagt sie. „Dit wird der Renner.“

Ein Mann in der Nähe, der unserem Gespräch zugehört hat, kramt in seiner Hosentasche und zündet ein Feuerzeug an. „Ich mach schon mal den Anfang“, sagt er. Die Frau und ich lachen.

„Dann müssen Se mir jetzt auch’n paar Fragen beantworten“, sagt die Frau.

Der Mann: „Na dann schießen Sie mal los.“

„Verheiratet?“, fragt die Löckchenfrau und der Mann nickt. „Schon seit 16 Jahren.“

„Tja, dann sind Se direkt raus. Der Nächste bitte.“ Sie lacht unbändig über ihren Witz, ich lache mit und da geht das Licht wieder an.

„Och schade“, sagt der Mann, und lässt den Daumen vom Feuerzeug rutschen: „Das war aber ein kurzes Speeddating.“

Sie guckt mich an: „Hat sich auch voll nich jelohnt.“ Danach tun alle, als sei nie was gewesen. Isobel Markus

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