piwik no script img

berliner szenenFast wie ein Lifehack

Seit die Coronazahlen runtergehen, steigen die Touristenzahlen in Berlin. Auf meinem Weg zur Arbeit ist es mir jetzt häufiger passiert, dass ich fast Menschen überfahre, die auf Handys starren. Einzig, weil man häufig gar nicht so schnell bremsen kann, wie sie, ohne nach links und rechts zu schauen, plötzlich auf die Fahrbahn treten. Den Blick auf ihr kleines Display geheftet. Zum Glück fahre ich Fahrrad und nicht Auto. Tote gab es bislang nicht. Und ja, ich weiß, dass es nicht nur Touristen sind, die Verkehrsregeln missachten und die digitale Welt der realen vorziehen.

Gestern war wieder so ein Tag. An der Fahrradampel auf der Osloer Straße spricht mich eine kleine Frau an. Ihr Deutsch ist ausbaufähig, sie hält mir ihr Handy unter die Nase. „Entschuldigung bitte …“ Wie ich das hasse! „Ich hab keine Brille auf, wo möchten Sie denn hin?“ Sie scrollt und scrollt. Dann liest sie laut vor „Kindermuseum“. Alles klar, ich weise ihr die Richtung, es sind keine zwei Minuten Fußweg.

Abends, am Bahnhof Friedrichstraße. Mit dem Rad stehe ich auf dem Bahnsteig der Nord-Süd-Bahn. Aus dem Fahrstuhl kommt ein Paar, sie im Rollstuhl, mit einem kleinen Koffer. Sie schauen sich suchend um. Er schiebt sie hin und her. Dann starren sie beide auf ein Smartphone. Ich nähere mich vorsichtig. Gerade, als ich sie ansprechen will, springt der Mann mit einem lauten „Entschuldigung!“ zur Seite. „Sie wirken gerade etwas verloren, wo möchten Sie denn hin?“, frage ich freundlich. „Wir suchen die S1 Richtung Oranienburg“, sagt die Frau. Ich zeige ihr den entsprechenden Bahnsteig und sage: „Oft hilft es, Einheimische zu fragen. Das geht schneller als im Internet.“

Früher, in der Vor-Handy-Zeit, wussten Menschen so was noch. Heute kommt es sicher fast als Lifehack durch. Ich werd’s mal auf Instagram posten. Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen