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Archiv-Artikel

Die Schönheit der Säule

Stilvolle Rede, stolzes Buffet: Beim Sommerfest zum 150. Geburtstag der Litfaßsäule feierte ein Experte den Sponsor Hans Wall. Der wiederum feierte vor allem sich selbst. Und der Rest feierte das „erste Marketinggenie“ Ernst Litfaß

Ein kleines Wunder, dass Hans Wall an diesem Abend nicht auch noch den nachtblau schimmernden Plastikbändchen, die jedem Gast am Eingang ums Handgelenk gelegt werden, seinen Stempel aufgedrückt hat. Keine Werbung, nichts. Dabei ist Wall und die gleichnamige AG doch gerade dafür bekannt, fast schon berüchtigt, jeden freien Fleck im Stadtbild mit Werbebotschaften zuzukleistern, „Stadtmöblierung“ nennt sich das dann euphemistisch.

Doch hier und heute, im Garten des Jüdischen Museums, geht es nicht um Hans Wall, zumindest nicht vorrangig. Es geht um Ernst Litfaß – ja, den mit der Säule. Die wird nämlich am 1. Juli 150 Jahre alt. Hurra, wieder eines dieser Jubiläen, das die Welt nicht braucht, mag mancher sich denken. Doch halt!, stop!, nicht so voreilig: Mit der Litfaßsäule begann die systematische Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, ein Vorhaben, das Hans Wall, Sponsor des Festakts zum Jubiläum, mit seiner Firma kompromisslos vorantreibt und deswegen laut Litfaßsäulenexperte Prof. Dr. Klaus Siebenhaar „der einzig legitime Erbe von Ernst Litfaß“ ist.

Allein diese Lobeshymne ist wohl jeden Cent wert, den Hans Wall in die Ausrichtung dieses Sommerfestes zu Ehren von Ernst Litfaß gesteckt hat. Sichtlich stolz steht er auf der Bühne im Hof des Museums, an den sich der weitläufige Garten anschließt, und referiert über die beleuchtbare historisierte Litfaßsäule vor ihm, die dank vieler Spiegel mit kaum mehr Energie auskommt als eine Deckenlampe: „Wenn Sie länger bleiben, dann sehen Sie, was man mit 150 Watt alles machen kann.“

Damit den Gästen bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht langweilig wird, beginnt nach Hans Walls Hinweis auf ein geplantes Ernst-Litfaß-Museum im Wall-Firmensitz an der Friedrichstraße das „Salonorchester Berlin“ Gassenhauer der Zwanziger zu spielen. Das Signal ist so klar wie jede Werbebotschaft sein sollte: Das waren die goldenen Jahre von Berlin. Da wollen wir wieder hin. Das hatte Glamour, das hatte Stil.

Dass es bis dahin allerdings noch ein weiter Weg ist, sieht man schon daran, dass die Veranstalter zwar eine stilecht gekleidete Tanzkapelle engagiert haben, deren Programm auch gut ankommt, aber Tanzen offensichtlich nicht vorgesehen ist. Im Hof des Jüdischen Museums ist Kopfsteinpflaster verlegt, das mit den Highheels der anwesenden Damen nur sehr begrenzt kompatibel ist. Na dann: Auf zum Buffet! Die Küche des dem Museum angeschlossenen „Liebermanns“ bietet – passend zur Berliner Erfindung Litfaßsäule – größtenteils Berliner Spezialitäten an: Currywurst mit Pommes, Buletten mit Kartoffelsalat; außerdem gibt’s Erbsenpüree, Königsberger Klopse und Kartoffelgratin. Zwar kein „Weltwunder“, wie angekündigt, aber auf jeden Fall ein Höhepunkt ist das Dessert, eine Litfaßsäule aus Eis: „Ihre erste und letzte Gelegenheit, eine Litfaßsäule zu verspeisen“, sagt Hans Wall. Das lassen sich die Gäste nicht zweimal sagen und schieben sich im Pulk Richtung Buffet. Solche von lauten „Aaahs“ und „Ooohs“ begleitete Szenen kennt man sonst nur aus dem „Traumschiff“.

Nur, weil ich der kollektiven Verzückung standhalte und sitzen bleibe, habe ich das Glück, folgendes Gespräch belauschen zu können. Die Akteure sind zwei graumelierte Ehepaare: „Die Maybrit Illner mag ich wirklich gerne.“ Allgemeine Zustimmung. „Nicht so wie die Christiansen, diese Zimtzicke.“ Allgemeine Heiterkeit. „Aber die Illner hat sich ja unglaublich gemacht. Die hat ja früher kaum den Mund aufgekriegt.“ Dieses Problem ist unseren Sitznachbarn eindeutig fremd. Als ich gehen will, wird auch das kommentiert: „Sie wollen schon gehen?“ – „Ihnen entgeht aber auch nichts.“ – „So sind wir Berliner.“

DAVID DENK