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Archiv-Artikel

Das Anti-Eva-Prinzip

Verweigerer In der perfektionistischen, deutschen Gegenwartsgesell- schaft, in der nichts einfach mal so schicksalsmäßig anders laufen darf, erhält Kinderlosigkeit den Rang eines unentschuldbaren Makels. Eines letzten, klar definierbaren Frauenversagens

Je seltener der Nachwuchs wird, desto radikaler zieht man sich auf den simpelsten Potenzbeweis zurück

VON GISA FUNCK

Prinzessin Soraya war schlechter dran. Weil sie dem Schah von Persien kein Kind gebar, wurde sie 1958 zwangsgeschieden. Dagegen kommen kinderlose Frauen in Deutschland heute noch vergleichsweise glimpflich davon: Man droht ihnen lediglich mit höheren Steuern, weil sie keinen Nachwuchs vorweisen können, der später für die Rente schuftet. Und man hält ihnen als Nicht-Müttern vor, dass sie mit ihrem unkooperativen Gebärverhalten gleich zum Aussterben eines gesamten Volkes beitragen. So erst Ende Juli wieder, als die Veröffentlichung der sinkenden Geburtenrate für klagende Titelzeilen sorgte wie „gefährlicher Trend“ (Das Handelsblatt), „der Mütterstreik“ (Berliner Zeitung) oder auch: „Das System kollabiert“ (Focus). Schließlich wird es in ein paar Jahrzehnten wahrscheinlich wirklich ein paar Deutsche weniger geben. Statt 80 Millionen, so unken Prognostiker, „nur“ noch 60 Millionen. Was nach vorherrschender Auffassung einem Untergangsszenario gleichkommt. Schon macht das apokalyptische Schlagwort vom „demografischen Wandel“ fast täglich die Runde, das die Privatangelegenheit Fortpflanzung zur deutschen Staatsmission erhebt – und Kinder-Gebären für Frauen wieder zur ersten Bürgerinnenpflicht macht, vierzig Jahre Emanzipation hin oder her.

Befruchtung auf Staatskosten

Im Februar forderte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die ihr politisches Schicksal ausdrücklich mit einer Steigerung der hiesigen Geburtenrate verknüpft hat, sogar schon finanzielle Unterstützung für die künstliche Befruchtung. Das könnte, so die Expertenschätzung, immerhin zu 10.000 Babys mehr im Jahr führen, auch wenn Kinder aus der Retorte deutlich öfter Krankheiten und Fehlbildungen aufweisen. Außerdem werden derart provozierte Schwangerschaften auf dem klinischen Präsentierteller für Frauen schnell zum Horrortrip anstatt zur freudigen Erfahrung. Und ob es wirklich so sinnvoll ist, mithilfe der Reproduktionsmedizin immer mehr Spätgebärende zu Müttern zu machen, die altersmäßig eigentlich eher schon Großmütter sein könnten?

Doch alle Einwände beim Thema Nachwuchs sind neuerdings strikt tabu. Waren in den Siebziger- und Achtzigerjahren noch Bücher mit Titeln wie „Kinderlos aus Verantwortung“ populär, die auch die Möglichkeit eines erfüllten Frauenlebens ohne Kind in Erwägung zogen, gilt heute die klare Devise: Hauptsache Mutter – egal, wie. Und liegt vor allem die stolz hergezeigte „Babykugel“ gerade voll im Trend, wie die Society-Zeitschrift Gala in ihrer Titelstory Ende Juli feststellte. Der Sommer 2009, jubelte das Magazin, sei „der Sommer der Mütter in spe“. Und dazu bekam man auf dem Coverfoto dann eine Vierer-Riege hochschwangerer Promi-Frauen von Heidi Klum bis Laetizia Casta zu sehen, die ihre neuen Rundungen präsentierten. Nun haben die Bauchgefühle schwer betuchter Glamour-Mütter zwar nur sehr wenig mit einem deutschen Mütteralltag zu tun, wo inzwischen fast jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Doch der Hochglanz-Botschaft des neuen Fruchtbarkeitskults tut das keinen Abbruch, die lautet: mit Baby ist cool, ohne dagegen out. Dass die süßen Kleinen auch älter werden und, sobald sie dem glubschäugigen Kleinkindalter entwachsen sind, nicht selten ernsthafte Probleme mit sich bringen, blendet die babymanische Öffentlichkeit hingegen gerne aus.

Das deutsche Wunschkind avanciert (besonders innerhalb der geburtenschwachen Akademikerkreise) zum Statussymbol wie das iPhone oder die Gucci-Brille, das man, hübsch ausstaffiert, am liebsten im 800 Euro teuren Bugaboo-Kinderwagen herumschiebt. Frei nach dem Motto: „Seht her, auch ich habe eins! Auch ich habe meine Fortpflanzungspflicht abgeleistet!“

Denn je seltener die Mangelware Nachwuchs wird, desto radikaler zieht sich auch die Berliner Republik auf den simpelsten aller Potenzbeweise zurück: auf die biologische Reproduktion. Und umso selbstverständlicher inszenieren sich Eltern schon etwas länger als die besseren Menschen.

Was sagte Jan Ullrich, als er wegen Doping-Vorwürfen zurücktreten musste? Er habe vor allem seiner kleinen Tochter Sarah zuliebe mit dem aktiven Radsport aufgehört. Wofür würden Stars wie Halle Berry, Julia Roberts, Johnny Depp oder Heike Makatsch angeblich sofort ihre Karriere opfern, wie sie in Interviews beteuern? Zum Wohle ihrer lieben Kleinen natürlich. Und auf welche Frage kann man heutzutage keinesfalls mehr ungestraft mit Nein antworten? Richtig, auf die Frage nach Sprösslingen. Denn die Verneinung dieser Frage wirft unweigerlich die nächste Fallbeil-Frage nach dem Warum auf, und auf die gibt es für kinderlose Frauen inzwischen keine gesellschaftlich akzeptierte Antwort mehr. Entweder sind sie als Unfruchtbare gebrandmarkt. Oder sie stehen als fehlgesteuerte Egoistinnen dar, psychische Defekte wie verdrängtes Kindheitstrauma oder Narzissmus inbegriffen.

Kinderkriegen ist längst wieder per se gut. Ein Wert an sich, der Sinn stiftet, wo Frau ihn sich sonst erst mühsam erschaffen müsste. Das wirkt verdächtig und ist mittlerweile so rufschädigend, dass das Eingeständnis eigener Kinderlosigkeit einer „augenblicklichen, sozialen Vernichtung“ gleichkommt, wie der (damals kinderlose) Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel bereits 2004 in einem Kursbuch-Aufsatz bemerkte. Treichel riet Nicht-Eltern bei der Frage nach Nachwuchs deswegen zur spöttischen Notlüge. Man solle am besten „dreist wie ein bayrischer Provinzpolitiker“ antworten: „Zwei Mädchen und drei Buben!“

Wagt man einen Blick auf den hiesigen Buchmarkt, der schon seit ein paar Jahren vor Pro-Familien-Schriften strotzt, ahnt man, dass Treichels Ratschlag vielleicht gar nicht einmal so witzig gemeint war. Denn spätestens seit FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher im Bestseller „Minimum“ 2006 das Hohelied auf die „Überlebensfabrik Familie“ sang, grassiert auch literarisch unter deutschen Journalisten und Schriftstellern das große Väter- und Mütter-Outing.

Angefangen mit Eva Hermanns antifeministischem Aufruf „Das Eva Prinzip“, der Frauen an ihre traditionelle Hausfrauen- und Mutterrolle gemahnte – über Iris Radischs Familienplädoyer „Die Schule der Frauen“, das aus persönlicher Dreifachmutter-Sicht Geschlechtsgenossinnen immerhin noch Teilzeit-Arbeit zugestand – bis hin zum Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz, der mit „Überleben an der Wickelfront“ im Frühjahr gerade einen autobiografischen Erfahrungsbericht als Zwillingsvater vorlegte. Wer schreibtechnisch geschult ist und Kinder bekommt, der ist heute meistens dermaßen stolz darauf, dass er sofort ein ganzes Buch darüber verfasst.

Für den Kinderwunsch ist jedes Mittel recht

Ist es da eigentlich ein Wunder, dass sich Kinderlose inzwischen oft wie Aussätzige fühlen? Und: dass angesichts des neuen Babywahns die ethischen Hemmschwellen immer geringer werden, mit allen erdenklichen Mitteln irgendwie an ein Kind zu kommen? Die Diagnose Unfruchtbarkeit, berichtete Psychologie heute im Mai, sei für viele amerikanische Frauen mittlerweile so schlimm „wie eine Krebserkrankung“. Die hysterische Debatte um eine Steigerung der Geburtenrate, so lässt sich vermuten, wird wohl auch für kinderlose deutsche Frauen nicht gerade gesundheitsförderlich sein. Darauf deutet zumindest der Klick auf die einschlägigen Selbsthilfe-Foren im Internet hin, wo eine Betroffene etwa erschütternd selbsthasserisch klagt: „Ich kriege nicht mal das zustande, was jede Kuh hinkriegt!“ Eine andere 41-Jährige schreibt nach sechs misslungenen Inseminations-Versuchen: „Ich fühle mich einfach schrecklich und frage mich immer, was ich getan habe, dass ich nicht mit meinem Herzenswunsch beschenkt werde?!“

Kinderlosigkeit hat in unserer Gesellschaft den Rang eines unentschuldbaren Makels, eines Versagens. Um das zu verhindern, nehmen Frauen peinsamste Untersuchungen in Spezialkliniken in Kauf. Lassen sich schmerzhaft Ei- oder Spermienzellen einpflanzen. Oder mieten fremde Leihmütter an. Alles nur, um ja nicht ohne Baby dazustehen. Um ja nur sagen zu können, auch sie hätten sich als Frau „selbst verwirklicht“.

Denn zur weiblichen „Selbstverwirklichung“ wird heute ausgerechnet der nachweisliche Karriere-Hemmschuh Mutterschaft immer öfter verklärt. Was dann manchmal derart pseudo-religiöse Züge annimmt, dass man sich schon fast wieder in finstere Diktatur-Zeiten zurückversetzt fühlt. Etwa dort, wo der Soziologe Alexander Ulfig Mitte August allen Ernstes in der Zeitung die Welt schrieb: „Das In-die-Welt-Setzen von Kindern hat für Eltern auch eine metaphysische Bedeutung: sie nehmen an etwas Größerem teil.“

Bei solchen ideologischen Sätzen ist man plötzlich ziemlich froh, dass mit Angela Merkel immerhin noch eine Kinderlose Kanzlerin sein darf, auch wenn sie nach Ulfigs Ansicht nicht zu „Größerem“ berufen war.