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Auf die Bäume

Ein Professor für Informatik klettert auf dem Campus seiner Hochschule auf einen Baum – aus Protest gegen die Energieverschwendung an seiner Uni. Jetzt muss er 4.000 Euro Strafe zahlen.

Von Wolfram Frommlet↓

Wenn ein Ordinarius wie Wolfgang Ertel, Mitglied bei den „Scientists for Future“, und zwei junge Aktivisten von „Fridays for Future“ auf einen Baum steigen, ist das eine nicht angemeldete und somit strafbare Versammlung. So sehen das Richter und Staatsanwalt am Amtsgericht Ravensburg, wobei Letzterer bereits Berufung gegen das Urteil angekündigt hat.

Es mutet an wie eine Justizposse: Drei Kletterer bilden also eine Versammlung, alle drei werden verurteilt, die Jungen als „Leiter“ einer Aktion, zu der niemand aufgerufen hat. „Wen leiten die“, fragt Ertels Anwalt Daniel Rheinländer, „es war eine Demonstration im abgeschlossenen Kreis, die für die Presse gedacht war.“ Die Verteidigung vermutet, dass es hier gegen etwas ganz anderes geht. Gegen die Meinungsfreiheit.

Ertels zweiter Verteidiger, Gotthold Balensiefen, Jurist und Beauftragter für Nachhaltige Entwicklung an der Hochschule Biberach, erkennt keinen Rechtsbruch des Professors, sondern rechtswidrige Zustände an der Hochschule Weingarten, die gegen das Klimaschutzgesetz verstoße, und die an allen Unis, inklusive seiner eigenen in Biberach, Realität seien. Hier wird auf Hochtouren geheizt, gerne auch in den Ferien. Kontext hat darüber vor einem Jahr berichtet.

Eine Demokratie braucht zivilen Ungehorsam

Balensiefen sieht seinen Kollegen im Recht, dagegen zu protestieren, und verweist auf den Glückwunsch von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), die Ertel lobt und einen Klimaschutz-Manager für den Campus verspricht. Der Staatsanwalt hebt dagegen auf die besondere „Vorbildfunktion“ eines Ordinarius’ für die Jugend ab, und fordert eine Strafe von 5.000 Euro. Soweit die Debatte im Gerichtssaal. Jetzt stellt sich die Frage: Was für ein Urteil, was für eine Justiz ist das? Soll jeder spontane Widerstand, jeder Protest gegen staatliches Fehlverhalten, das sich gegen bestehende Klimaschutz-Ver­ordnungen und Gesetze richtet, im Keim erstickt werden mit drakonischen Strafen?

Gewaltloser Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, die das Gemeinwohl beeinträchtigen oder die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger pervertieren, sind eine Säule unserer rechtsstaatlichen Demokratie. In zahlreichen Urteilen anerkannte das Bundesverfassungsgericht Phänomene wie „gesellschaftlichen Notstand“ und nicht angemeldete Widerstandsformen wie Sitzblockaden. Anlässe in der noch jungen Republik waren die Notstandsgesetze, die Stationierung von Atomwaffen.

Der zivile Ungehorsam ist Teil politischer Partizipation, die unser gesellschaftliches System von autokratischen und diktatorischen unterscheidet. Eine moderne Demokratie braucht Formen der Einmischung und des Aufbegehrens, die nicht mit der Obrigkeit abgesprochen, geschweige denn von ihr genehmigt sind, weil sie sich gegen Beschlüsse und potentiell auch gegen Gesetze richten, die Behörden, Kommunen, Länder- oder Bundesparlamente beschlossen haben. In einer Demokratie ist der Staat nicht unfehlbar und Bürgerinnen und Bürger sind nicht ohne Verstand.

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