Osman Engin Alles getürkt: Ich werde gehört!
Osman Engin
ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
Hallo, Herr Engin! Schön, dass Sie da sind! Kommen Sie doch hier rüber zu mir“, brüllt jemand quer durch die gesamte Kneipe, noch bevor ich mit einem Fuß drin bin. Diesen Kerl kenne ich doch gar nicht!
„Herr Engin, lassen Sie uns doch gemeinsam auf Ihr Wohl trinken“, ruft er weiter.
Der Mann spricht meinen Namen völlig akzentfrei aus, so als würde er ihn täglich ein Dutzend Mal hören.
„Ich habe Ihren Namen in den letzten 15 Jahren täglich mindestens ein Dutzend Mal gehört“, bestätigt er und fügt hinzu: „Ich freue mich sehr, Sie nach all den Jahren endlich persönlich kennenzulernen. Hubert, bring doch meinem Freund hier auch ein Helles mit Korn!“
„Nein, danke, ich darf keinen Alkohol trinken“, wehre ich mich.
„Ach ja, stimmt, wegen Mohammed.“
„Nein, wegen Eminanim.“
„Natürlich, wie konnte ich das bloß vergessen! Herr Engin, wissen Sie eigentlich, dass Sie lange Jahre mein Arbeitgeber waren?“
„Ich und Arbeitgeber? Ich bin froh, dass ich selbst einen Job in Halle 4 habe, Herr …“
„Verzeihen Sie bitte, Herr Engin, ich habe ganz vergessen mich vorzustellen, mein Name ist Hörspuck, Dieter Hörspuck von Bäende. Aber ab nächster Woche ist endgültig Schluss damit“, stammelt er mit Tränen in den Augen.
„Bäende? Was soll das für eine Firma sein?“
„Bundesnachrichtendienst! In den letzten 15 Jahren hatte ich dort die Aufgabe Ihr Telefon abzuhören, Ihre Mails und Ihre Post zu lesen.“
„Oh, das tut mir aber leid für Sie!“
„Herr Engin, mein Pech war, dass Sie zwei telefonsüchtige Kinder im Teeniealter hatten.“
„Herr Hörspuck, es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man Gehör findet, wo doch weder meine Frau noch meine Kinder mir jemals zuhören. Aber wofür das Ganze?“
„Weil Sie vor Jahren so etwas wie ein Buch geschrieben haben. Wir vom Geheimdienst hatten den Verdacht, dass aus Ihnen vielleicht ein richtiger Schriftsteller werden könnte.“
„Es tut mir leid, dass ich Sie so bitter enttäuscht habe.“
„Ach, das ist halb so schlimm. Viele Leute haben doch durch Sie Arbeit und Brot bekommen. Ich, mein Vertreter, zwei Tontechniker, zwei Fahrer, ein Fotograf, ein getarnter Briefträger und drei Dolmetscher …“
„So viel Unkosten nur wegen mir?“
„Herr Engin, machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ihre Unterlagen haben wir gewinnbringend an den türkischen Geheimdienst weiterverkauft. An türkischen Schriftstellern im Ausland sind die in Ankara brennend interessiert.“
„Aber ich bin doch gar kein richtiger Schriftsteller“, tue ich bescheiden.
„Das wissen wir doch. Aber nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war man ja als Geheimdienstler froh, dass man überhaupt jemanden zum Überwachen hatte.“
„Und warum wollen Sie mir jetzt nicht mehr zuhören?“, frage ich ein bisschen enttäuscht.
„Weil die Amis unseren Job inzwischen viel gründlicher und erheblich kostengünstiger erledigen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen