piwik no script img

Sooo müde

Da ist sie wieder, diese allumfassende Erschöpfung. Ich kenne das schon. Während die Natur langsam zum Leben erwacht, habe ich mit Frühjahrsmüdigkeit zu kämpfen.

Für die gibt es verschiedene Erklärungsmodelle: Manche gehen davon aus, dass die ersten Sonnenstrahlen zu einem vorübergehenden Hormonungleichgewicht führen, andere davon, dass sich unser Körper erst an die steigenden Temperaturen gewöhnen muss. Ich denke jedoch, dass es zumindest in diesem Frühling noch einen weiteren Grund gibt: Zwei Jahre Coronapandemie liegen hinter uns, jetzt kommt noch der Ukrainekrieg obendrauf. Bei vielen von uns sind nun wohl auch die letzten Kraftreserven aufgebraucht.

Deshalb mag ich sie so gerne: die vielen Matratzen, die sich seit dem ersten Lockdown auf den Straßen Berlins angesammelt haben. Diese Hüterinnen des guten Schlafs, die von ihren Be­sit­ze­r*in­nen einfach achtlos vor die Tür verbracht wurden und nun an Häuserecken herumlungern. Sie ziehen mich magisch an, aber nicht, weil ich mich auf sie drauflegen möchte – wobei ich auch das in manchen Momenten reizvoll fände –, sondern weil sie für mich ein Sinnbild dieser Zeit sind. Denn die meisten Matratzen werden dem Irrglauben zum Opfer gefallen sein, es habe an ihnen gelegen, dass ihre Be­sit­ze­r*in­nen nicht in den Schlaf fanden. Dabei haben unsere Schlafprobleme – sorry, anderslautende Werbung! – in den seltensten Fällen mit der Matratze zu tun, sondern viel eher mit der besorgniserregenden Weltlage. Mit dem Kauf eines neuen Modells versucht man etwas zu kitten, was so nicht zu kitten ist.

Ich halte die ausrangierten Matratzen derweil mit meiner Handykamera fest. 150 Porträts habe ich schon, und es kommen ständig neue hinzu. Ein positiver Nebeneffekt meines nerdigen Hobbys: Jedes Mal, wenn ich ein neues Exemplar entdecke, bin ich kurz hellwach.

Anna Fastabend

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen