piwik no script img

Archiv-Artikel

Heftige Ansprache

Und dann gibt es ja immer noch den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“. „Eine Art unabhängigen TÜV für den gesamten Tonträgermarkt“, wie es mal im Bonner General-Anzeiger zu lesen war. Und in dessen letztem Wort sich geradezu trotzig alles ballt, was es so doch eigentlich gar nicht mehr geben soll im digitalisierten und auf dem Freimarkt des Netzes verhandelten Musikschaffen: Schallplatte und Kritik. Einigermaßen oldschool also.

In der vom „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ herausgegebenen Bestenliste für das zweite Quartal in diesem Jahr findet sich als die Empfehlung bei der Pop- & Rockmusik zum Beispiel „Mr. M“ von Lambchop und in der Sparte Jazz sollte man mal in „Lifeline“ vom Rolf & Joachim Kühn Quartet reinhören. Mehr Anregungen gibt es sortiert in 20 Disziplinen auf www.schallplattenkritik.de, wo man unter den News auch lesen kann, dass in diesem Jahr ein ehrenhafter Jahrespreis an den Produzenten Jost Gebers geht, und zwar für dessen Verdienste um den Jazz. Weil er mit seiner Free Music Production seit Jahrzehnten „als die zentrale Plattform der Jazz-Avantgarde in Europa gilt“, wie es in der Begründung der Jury heißt.

Und tatsächlich hat man mit den FMP-Platten etliche der entscheidenden Kapitel der Free-Jazz-Geschichte zur Hand. Für eine erste Orientierung reichen schon mal die Namen von Peter Brötzmann, dem 2002 verstorbenen Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und eben Jost Gebers, die das Label 1969 gegründet haben. Dass sich in diesen vier Jahrzehnten seither eine auch recht ansehnliche Arbeit angesammelt hat, kann man jetzt in einer Ausstellung in der Köpenicker Galerie Grünstraße begucken. Dort werden in der Sommer-Jazzausstellung 2012 Fotos, Plakate und Plattencover des FMP-Labels präsentiert (bis 25. Juli, Di.–Fr. 13–19 Uhr, Sa. 10–14 Uhr. Grünstraße 16). Zur Konturierung der Frage, ob man denn überhaupt mit den Augen hören kann, wäre es dabei natürlich hübsch gewesen, auch Cover aus anderer Produktion zu einem Vergleichshören zu haben. Etwa von ECM, dem in München ansässigen Label und schon damit irgendwie antipodisch zur Berliner FMP. These: Die ECM-Optik mit der Neigung zu ausgebleichten, in den Konturen verwischten Motiven auf den Covern lässt durchaus Rückschlüsse auf den musikalischen Inhalt zu. Wie die doch entschiedenere und gern auch heftige Ansprache bei FMP. In Bild. Und Ton.

Kann man nicht nur sehen, sondern weiterhin auch hören. Live. Am Samstagabend zum Beispiel mit Ernst-Ludwig Petrowsky – mehrere Veröffentlichungen auf FMP –, der mit Uschi Brüning im Institut français spielen wird. THOMAS MAUCH