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Der Kommentar

Krieg und kein Frieden Der große Selbstbetrug

Es wird keine ernstzunehmende Hilfe Deutschlands für die Ukraine geben. Und die Grünen sehen zu.

In Protest gegen fossile Importe aus Russland blockieren Greenpeace-Aktivisten das Bahngleis zu einer Erdölraffinerie in Brandenburg Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“

Joachim Gauck in der ARD-Talksendung „Maischberger“

taz FUTURZWEI, 15.03.22 | Die Grünen Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock lehnen einen Stopp der Einkäufe von Öl, Gas und Kohle in Russland ab. Sie befürchten, dass die damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu politischen Verwerfungen führen werden. Stattdessen wird sogar bei den Grünen über das Weiterlaufen der beiden letzten Atommeiler spekuliert, soll der Kohleausstieg gestreckt und gleichzeitig der Ausbau der regenerativen Energiequellen beschleunigt werden.

Die Gelegenheit, jetzt mit dem zusätzlichen Argument der Freiheitssicherung komplett aus der fossilen Energieabhängigkeit auszusteigen und massiv den Ausbau der regenerativen Energien voran zu treiben, wird nicht genutzt.

Energie wird teuer bleiben

Unabhängig vom weiteren Vorgehen der Regierung gilt: Alle Energie wird für die Dauer des Krieges und lange darüber hinaus viel teurer werden. Diese höheren Energiepreise werden vor allem die Normalverdiener belasten. Gemäß der sozialdemokratischen Philosophie einer immerfort auszuweitenden Verteilung wird über steuerliche Entlastungen und ein neues Energiegeld diskutiert, sowie über eine jüngst von Habeck ins Spiel gebrachte Kriegsgewinnler-Steuer für die Energiekonzerne, eine Spritpreisbremse, Tempo 130 auf Autobahnen und autofreie Sonntage.

Selbst wenn alle diese Maßnahmen umgesetzt würden: An der langfristigen Verteuerung aller Energieleistungen und der ungleichen Verteilung der Lasten wird sich in überschaubaren Zeiträumen substantiell wenig ändern.

Dazu kommt, dass es politische und militärisch ernstzunehmende Hilfe für die kämpfende Ukraine nicht geben wird. Ein beschleunigtes Verfahren zu einer Aufnahme der Ukraine in die EU wird genauso wenig kommen wie eine Flugverbotszone und potentiell kriegsentscheidende Waffenlieferungen. Die Westmächte lassen sich von Putin mit der Drohung des Einsatzes seiner Atomwaffen erpressen. Ob der Westen und die Nato ihr Versprechen einhalten werden, ihre osteuropäischen Mitglieder gegen jeden weiteren russischen Angriff militärisch zu verteidigen, ist auch nicht sicher.

Alleine wird die Ukraine den Kampf verlieren

Die ukrainischen Leute müssen ihren Kampf um westliche Freiheiten und Demokratie allein führen. Die Ukraine wird diesen Kampf aber allein verlieren. Russland wird seine syrische Strategie des Zerbombens aller zivilen Strukturen in der Ukraine, des Mordens und des Vertreibens von Millionen ohne Rücksicht auf eigene Opfer – „nach Plan“ – ungestört und siegreich zu Ende führen. Dieser jetzt schon absehbare Sieg Russlands ist die schuldbeladene Niederlage des Westens.

Aber schon bald nach dieser Niederlage werden SPD und Grüne von der Notwendigkeit des Akzeptierens der dann geschaffenen Tatsachen sprechen, die Beziehungen zu Russland wieder aufnehmen, das dann von Putin eingesetzte Regime in Kiew schon bald anerkennen, den Wiederaufbau der Ukraine mit Milliarden Euro und Dollar bezahlen und sich den geopolitischen Machtinteressen des autoritären, freiheitsfeindlichen Russlands als sicherheitspolitische Partnerschaft getarnt anverwandeln.

Für eine solche Entwicklung spricht das politische Selbstverständnis einer allein auf Verhandlungen setzenden Appeasement-Politik gegenüber den autoritären Feinden der Freiheit, das SPD und Grüne schon immer prägt – und jetzt auch noch die FDP. Diese Haltung ist nicht nur ein Selbstbetrug. Sie ist eine verschleierte Selbstenthauptung.

Die Grünen sollten die Chance nutzen, jetzt den Ausbau alternativer Energien auf den Weg zu bringen

Bundeskanzler Olaf Scholz musste seinen in einem klarsehenden Moment gefassten 100 Milliarden-Plan für die Aufrüstung der Bundeswehr und die Stärkung der Nato mit einer Grundgesetzänderung verbinden. Er weiß, dass er mit SPD und Grünen allein für seine Pläne keine Mehrheiten bekommen wird. So wurde bei den Grünen nur wenige Tage nach Verkündung der Pläne für eine Ausweitung des Sicherheitsbegriffes über das Militärische hinaus geworben und der Einsatz der kompletten 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr schon wieder zur Disposition gestellt.

Dabei könnte der Ukrainekrieg gerade von den Grünen genutzt werden. Sie könnten jetzt, ohne taktische Kompromisse mit den populistischen Angstmachern eingehen zu müssen, mit nochmal 100 Milliarden den Ausbau der alternativen Energien auf den Weg bringen – rechtsfest und sofort. Sie würden damit die Kosten der Aufrüstung für eine kriegsfähige Verteidigung der westlichen Freiheiten und zugleich den ökologischen Umbau der Energiewirtschaft vor allen anderen politischen Projekten priorisieren.

Sie hätten dann auch gute Argumente, die daraus folgenden finanziellen Zumutungen für jeden einzelnen Bürger offen zu adressieren. Ein solches Vorgehen wäre kein politischer Selbstmord, es könnte der Weg werden, um bei vielen Bürgern Vertrauen und Bereitschaft zum Mittun zu stärken.

Die Bürger zeigen mit ihrer Unterstützung für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge ja gerade, dass sie bereit sind, für Freiheit und Frieden auch mit persönlichen Opfern einzustehen. Sie wissen auch, dass es keinen Weg in eine friedliche und ökologische Zukunft ohne große Anstrengungen geben wird.

Für die Freiheit auch mal frieren wäre das Mindeste

Wie wollen denn die Grünen 2025 ihren nächsten Versuch begründen, die Kanzlerschaft zu erringen, wenn sie in ihrer Regierungsarbeit bloß taktisch oder auch linkspopulistisch herumeiern? Wie wollen sie erklären, dass sie der Gewalt Putins keinen Versuch entgegengesetzt haben, das bundesdeutsche Versagen der letzten 20 Jahre in einem ins Risiko gehenden Aufbruch aufzuheben? Wie wollen sie den Bürgern erklären, dass sie beim Völkermord und den Zerstörungen in der Ukraine auch nur zugesehen haben?

Das Mindeste wäre es, dass wir alle für die Freiheit auch mal frieren. Wenn es den Grünen jetzt gelingen würde, diesen Anspruch von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck in erfolgversprechende Gesetze und Projekte zu fassen und in der Öffentlichkeit dafür einzutreten, dann hätten sie gute Chancen, die sie heute in ihrem politischen Handeln einengenden 14,8 Prozent beim nächsten Mal deutlich zu übertreffen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen.