: Soldatenlobby will Militärjustiz
AFGHANISTAN Bundeswehrverbandschef Ulrich Kirsch fordert eine eigene Gerichtsbarkeit für deutsche Soldaten. Offener Angriff auf Generalinspekteur Schneiderhan
OBERST ULRICH KIRSCH
VON ULRIKE WINKELMANN
Unter dem Eindruck der Kritik, die im In- und Ausland an dem Bombardement zweier Tanklastzüge, vieler Taliban und wahrscheinlich auch vieler Zivilisten im nordafghanischen Kundus laut geworden ist, hat der Bundeswehrverband seine Forderung nach einer Militärgerichtsbarkeit verschärft.
Bei den Soldaten heiße es, „gehst du nach Afghanistan, wartet zu Haus schon der Staatsanwalt auf dich“, zitierte der Chef des Bundeswehrverbands Ulrich Kirsch den „Truppenjargon“. Dies sei ein unerträglicher Zustand. „Ich fordere die Einrichtung eines Bundesgerichts mit der Zuständigkeit für Soldaten im Auslandseinsatz und auf hoher See.“ Das Grundgesetz erlaube dies. Bei den Nato-Partnern hätten Soldatinnen und Soldaten einen eigenen Rechtsstatus. Die Justiz in Deutschland müsse ebenfalls „einsatzfest“ gemacht werden.
Bislang hatte der Bundeswehrverband sich darauf konzentriert, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zu fordern. Dies will auch Verteidigungsminister Jung (CDU), der dabei aber gebremst wird von Justizministerin Zypries (SPD), die keinen Handlungsbedarf sieht.
Aus Sicht der Verteidigungspolitiker jedoch dauerten die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Oberfeldwebel, der Ende August 2008 an einem Checkpoint eine Frau und zwei Kinder versehentlich erschossen hatte, zu lang und belasteten den Soldaten unnötig. Sie wurden im Mai eingestellt. Es koste eben Zeit und Mühe, dem Staatsanwalt zu erläutern, was der Unterschied „zwischen einem Checkpoint an einer Ausfallstraße von Kundus und einer Verkehrskontrolle am Stadtrand von Bielefeld ist“, sagte Kirsch.
Kirsch beklagte am Freitag mangelnde Rückendeckung für die Bundeswehr im Ausland insgesamt und namentlich für Oberst Georg Klein, der als Kommandeur des regionalen Wiederaufbauteams in Kundus den Luftangriff angeordnet hatte. Kirsch griff insbesondere Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan offen an: „Ich erwarte ein spürbares Signal.“
Zum Verhalten des Kommandeurs des Provinzaufbauteams Klein sagte Kirsch: „Nach meinen Erfahrungen ist die Entscheidung, Bomben auf Tanklastwagen zu werfen, keine Entscheidung eines einzelnen Kommandeurs. Das geht nicht ohne Rückversicherung.“
Das Verteidigungsministerium hat jedoch wiederholt angedeutet, dass Klein tatsächlich weder mit dem deutschen Regionalkommando Nord in Masar-i-Scharif noch mit dem Isaf-Kommando in Kabul oder einer anderen höheren Ebene sprach, bevor er den Bombenabwurf anordnete. Nach Aussagen von Nato-Militärs wäre dies von den Einsatzregeln („Rules of Engagement“) der Isaf in Afghanistan keinesfalls gedeckt – und eigentlich vom typischen Kommandoverlauf her unmöglich. Klein hätte dann jedoch seine Kompetenzen klar überschritten, was allerdings disziplinarrechtlich, nicht strafrechtlich zu ahnden wäre. Die „Rules of Engagement“ sind nicht öffentlich. Grundsätzlich muss jedoch nach Angaben aus Nato-Kreisen ein Luftangriff, der wie der vor einer Woche in Kundus nicht unter Zeitdruck geschieht, mit dem Isaf-Kommando abgestimmt werden.
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