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Archiv-Artikel

Eine ganz besondere Synergie

Im Finale des Konföderationen-Pokals zeigen Brasiliens Fußballer erstmals seit ihrem WM-Gewinn vor drei Jahren, zu was für einer Leistung sie in der Lage sind. Argentinien wird davon regelrecht überrollt – und mit 1:4 gedemütigt

FRANKFURT taz ■ Natürlich, dieses Spiel schrie nach großen Gesten, was ja ein Kinderspiel für jeden Brasilianer ist. Die Triumphatoren formten nach ihrem 4:1-Sieg im Finale des Konföderationen-Pokals einen Bibelkreis am Mittelkreis. Sie beteten. Inbrünstig. „Es war nicht eine Art Gebet, sondern ein richtiges Gebet“, bekräftige Trainer Carlos Alberto Parreira den Ernst der Jesusjünger. Die Spieler, die Betreuer, die Trainer schlossen die Augen, sie sangen, murmelten, zeigten Zeichen von Beseelung – und machten sich nach diesem Gemeinschaftsritual tanzend und trommelnd auf eine mäandernde Ehrenrunde, besoffen vom Glück, betrunken vom Sieg über den Erzrivalen Argentinien. Die Zuschauer sahen sich an dem Spektakel satt, vor und nach dem Schlusspfiff. Sie ließen sich vom Spiel der Seleçao hinreißen, von ihrem sambafrischen Auftritt. Das war ein Leichtes in der elektrisierten Atmosphäre des Frankfurter Waldstadions, über dem ein schweres Gewitter hing.

„Brasilianische Blitze“ titelte die Frankfurter Rundschau anderntags, ein Phänomen, das nicht nur die Schwüle über Hessen vertrieb, sondern auch die Hoffnung der Argentinier auf den Turniersieg. Es war ein metaphorischer Abend, nicht mehr und nicht weniger, eine Nacht der Bildersprache. Berichterstatter, die sonst schnöde Spielberichte in die Redaktionen schicken, verfassten fast schon sinnliche Texte. Der Wettergott habe so lange auf die Dachkonstruktion des Waldstadions gehämmert, bis diese nachgegeben und sich ein Schwall aufs Spielfeld ergossen habe, schrieb ein Reporter – und beschwor ein episches Match. Ein anderer proklamierte, das Wetter wolle mit diesem Match mithalten – und gleichfalls mit etwas Besonderem aufwarten.

Selbst der hüftsteife Lucio zeigt Übersteiger

Die Akklamation von oben fiel heftig aus. Mit dumpfen, tiefen Schlägen beklatschte der Himmel dieses Spiel und überzog das Stadion zusätzlich mit einem bizarr zuckenden Feuerwerk. Es war schnell vergessen, dass der Einbruch des Wassers in die abgedeckte Arena ein Feuchtbiotop an der Eckfahne entstehen ließ, dass er ein Dutzend Fotografen in die Flucht schlug und die Fifa zu einer eilig anberaumten Pressekonferenz zwang; zu sehr war die Aufmerksamkeit ans Spiel gefesselt, an eine Begegnung, die mit Donnerschlägen der fußballerischen Art aufwarten konnte. Die brasilianische Elf, in dem festen Willen angetreten, die jüngste Niederlage in der WM-Qualifikation Südamerikas wettzumachen, ließ alsbald Taten folgen.

Adriano, mit fünf Treffern der Torschützenkönig des Turniers, fetzte einen Fernschuss in die Maschen. Kaka schüttelte wenig später mit einem Präzisionsstoß ein paar Regentropfen aus dem Winkel des Tornetzes – schon stand es 2:0. Und doch war die Revanche für die Schmach von Buenos Aires, für das 1:3 im River-Plate-Stadion, noch nicht gelungen, denn da hatte es zur Halbzeit 3:0 für Argentinien gestanden, da hatten sich die Brasilianer in die Pause entgeistert vom Platz verabschiedet. Doch was sich in den ersten 45 Minuten nicht erledigen ließ, vollendete die Seleçao im zweiten Abschnitt. Sie zog auf 4:0 davon, brachte zudem zweimal das Gestänge zum Wanken und trieb die 45.000 Zuschauer zu Stürmen der Begeisterung. Mit Olé-Rufen bedachten sie die Ballstafetten der Blau-Gelben. Und als selbst der hüftsteife Lucio einen Gegenspieler mit einem Übersteiger düpierte, schüttelten viele den Kopf. Dios mio, mein Gott, diese Brasilianer!

Die hoch gelobte Elf Argentiniens musste sich in ihr Schicksal als Statisten fügen; in der Liturgie des Finales hatte sie nur Hilfsdienste zu verrichten. Ein Tor zur minimalen Ehrenrettung konnten sie immerhin beisteuern. Aber viel mehr war da nicht, zu offensichtlich das suprematische Spiel des Weltmeisters, dem der Sinn nach einer Fußballdemonstration stand. „Es war eine schwere Niederlage“, gestand José Pekerman ein, Coach der Gebeutelten. „Brasilien hat uns gezeigt, wo der Hammer hängt.“ Pekermans Suche nach Erklärungen endete im Metaphysischen. „Es gibt Spiele, die kommen über dich wie ein Schicksalsschlag. Man sieht von Anfang an, dass es sich in ein Richtung entwickelt.“ Sein Team sei schlichtweg überrollt worden, obwohl man technisch und taktisch „bereit“ gewesen sei. „Wir haben getan, was wir konnten, aber es hat nicht gereicht“, erkannte er die krasse Unterlegenheit seiner Mannschaft an, eine Einschätzung, die Pekerman nur für das Endspiel des Confed-Cups gelten lassen wollte, nicht für die gesamte Turnierleistung Argentiniens. Diese sei gut gewesen, sagte Pekerman. Und weiter: „Insgesamt sehe ich ausgewogene Verhältnisse zwischen beiden Teams. Die frischen Einschnitte sind tief, aber wir werden Gegenmaßnahmen einleiten.“

Carlos Alberto Parreira vermittelte den Eindruck, als habe seine Mannschaft im Turnierverlauf mit der Konkurrenz gespielt, hier und da taktische Varianten erprobt und nur auf die finale Motivation gewartet, um am Ende der Kleinst-WM umso überzeugender aufzutrumpfen. „Die Mannschaft ist außergewöhnlich bestückt, außerdem zeigen die Spieler einen unglaublichen Teamgeist – das ergibt eine besondere Synergie.“ Sein Team verfüge über „kumulierte Talente“, eine seltene Ballung von Zauberfüßen. Deswegen habe es die Mannschaft nicht nötig, „kompakt“ zu spielen wie 1994, als er gleichfalls Nationaltrainer war, aber nicht aus solch einem sprudelnden Quell von Hochbegabten schöpfen konnte. Spätestens jetzt sei Brasilien der unumschränkte WM-Favorit, so der Coach. Sein Blick ging nach vorn. Und nach oben: „Wir müssen beten, um unser Ziel zu erreichen“, sagte Pater Parreira.

MARKUS VÖLKER