Die Weltregie

UEFA-TV Alles, was dem europäischen Fußballverband nicht passt, wird im Fernsehen nicht gezeigt: ob bengalische Feuer, Flitzer oder Protestplakate

„Das Publikum erwartet, dass ‚live‘ drin ist, wenn ‚live‘ draufsteht. Live ist live“

WDR-CHEFREDAKTEUR JÖRG SCHÖNENBORN

VON STEFFEN GRIMBERG

Hach, wie sich plötzlich wieder alle aufregen: „Jogi und der Balljunge“, diese hübsche Szene aus dem Spiel Deutschland–Niederlande, dieses Fußballidyll, garniert mit Welttrainer und Sportnachwuchs – es war nicht echt. Nein, nicht etwa, dass Löw dem Nachwuchskicker den Ball nicht und dann auch noch, pfui, von hinten aus der Achsel genommen hätte. Nur, und das beklagen nun alle, von den ZDF-Gewaltigen bis zwei Tage später auch Tom Buhrow in den ARD-„Tagesthemen“, es passierte eben nicht live, nicht im Spiel, sondern davor. Die „Uefa-Weltregie“, dies zynische Reich des Bösen, schnitt die Szene einfach mittenrein.

„Das ist vollkommen unüblich“, beschwerte sich ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, und ZDF-Chefredakteur Peter Frey schäumte: „Das entspricht nicht unseren journalistischen Standards.“ Jetzt bloß keine Witze über Usedom, Olli „Strandkorbvermieter“ Kahn und die Sonne, die hinter der Showbühne auf der Ostseeinsel so schön ins Wasser fällt. „Für uns wäre jede Form von Zensur oder Manipulation nicht tragbar“, meldet sich am Samstag danach per Interview auch WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn zu Wort – der WDR ist der Fußballgott in der ARD. Schönenborn sagt zwar, er halte „die Kritik an der Uefa insgesamt“ für „überzogen, wir arbeiten mit ihr sehr gut zusammen“; doch er mahnt auch: „Das deutsche Publikum erwartet, dass ‚live‘ drin ist, wenn ‚live‘ draufsteht. Live ist live und muss live bleiben.“ Die Lage ist ernst.

Ist sie tatsächlich, aber anders, als das öffentlich-rechtliche Geklappere suggeriert. Internationaler Fernsehsport ist seit Jahren eine Kommerzveranstaltung von Gnaden der Fifa und der Uefa. Der Ball gehört Sepp Blatter und Konsorten, der Unterschied zur Formel 1 und Bernie Ecclestone ist höchstens marginal. Mehr noch: Die öffentlichen-rechtlichen Sender zahlen mit Begeisterung Gebührenmilliarden für die Übertragungsrechte, um danach die Verantwortung für die Bilder fast ganz abzugeben, an die, denen sie gehören. Womit wir wieder bei den internationalen Dachverbänden wären.

Zur Rundumvermarktung des Fifa- und Uefa-eigenen Gekickes gehört das Sendesignal, von einer eigenen Produktionsgesellschaft produziert und den angeschlossenen Sendern gegen satte Gebühr geliefert, von der „Uefa-Weltregie“ kongenial für die jeweiligen Märkte aufbereitet. Bei der Uefa ist man sich in Sachen „Mama, Papa, Jogi-Ball“ keiner Schuld bewusst: „Es ist eine international übliche Praxis, dass bei Liveübertragungen Szenen als Wiederholungen eingespielt werden“, so die Uefa. ARD und ZDF sind zwar noch mit ein paar eigenen Kameras vor Ort, doch die sind eher Folklore: Damit werden Kurzinterviews am Beckenrand geführt und die Kommentatoren gezeigt. Obwohl man mehr könnte, wenn man wollte. Doch nur drei bis vier der rund zehn eigenen Kameras im Stadion sind auch wirklich aufs Spielfeld gerichtet. Die Sender dürften auch beim Weltsignal der Uefa-Regie zwischen verschiedenen Kameraeinstellungen wählen. Doch weil es dann wegen der Schnitte bei der Rückkehr zum zentral laufenden Weltsignal holpert, komme das nicht gerade oft vor, heißt es intern. Dem Zuschauer wurde bislang nicht erklärt, dass er da nicht ZDF oder ARD in Reinkultur sieht – sondern Uefa-TV.

Allein: Die Uefa schneidet nicht nur Herziges wie den lustigen deutschen Bundestrainer in die Übertragungen rein, sondern lässt gern auch mal etwas weg: zündelnde Fans, von der Tribüne aufs Feld hoppelnde Zuschauer, der Regie nicht genehme Banner in den Stadien und anderes mehr. Offizielle Begründung: Das tue man, um nicht noch mehr Fan-Idioten zur Nachahmung zu bewegen. Doch man wird den Eindruck nicht los, dass es insgesamt eher um das saubere Image vom sauberen Fußballsport geht. Denn was wurde uns bislang vorenthalten? Das Transpi, auf dem die Fußballgrünen Rebecca Harms und Werner Schulz beim Spiel gegen die Niederlande „Fairplay im Fußball und in der Politik“ anmahnten und „Free all political prisoners“ forderten. Mag die Uefa nicht, gibt Ärger mit dem Gastgeberregime. Ebenfalls nicht im deutschen Fernsehen: ein kroatischer Fan, der aufs Feld rannte und beim Irland-Spiel „seinen“ Trainer Bilic küsste. Und leere Plätze, vor allem auf den VIP-Tribünen, stattdessen stets der ganz große Jubel. Was der Uefa da nicht passt, fällt eben der Weltregie zum Opfer.

Das war auch 2008 in der Schweiz so, auch damals verhallte der anschließende deutsche Senderprotest ungehört. Dieses Mal hat vor allem das ZDF Ärger mit solchen „Ausblendungen“ bei von ihm übertragenen Spielen. Bei der ARD blieb dagegen das martialische Banner einiger russischer Fans beim Spiel gegen Polen drin. „Wir beobachten das sehr genau und würden da umgehend reagieren, wenn uns etwas fehlt“, sagt ein WDR-Sprecher der taz.

Wie das insgesamt mit öffentlich-rechtlicher Programmhoheit zusammengeht, diskutieren ARD und ZDF nicht mehr ganz so gern. Sie mögen auch nicht, wenn man sie daran erinnert, dass sie gegenüber den angeblich allmächtigen Fußballverbänden dieser Welt vielleicht nicht ganz so machtlos sind, wie sie immer tun: Denn ohne ihre Rechtemillionen wäre das internationale Fußballgeschäft ein paar Nummern kleiner.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass nicht nur der Fußball mit seinen Verbandsoligarchen die Programmautonomie des deutschen Fernsehens ad absurdum führt: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) kann es noch ein bisschen besser: Zu Olympia 2008 in Peking ließen sich ARD und ZDF vertraglich verpflichten, eine höchst IOC- und chinafreundliche Dokumentation der mit dem IOC seit Langem eng verbandelten TV-Produktionsgesellschaft IMG auszustrahlen. Was sie dann auch – gut versteckt in ihren Digitalkanälen – taten. Nach Protesten erklärten ARD und ZDF, solche PR-Filmchen seien eigentlich ein Unding und müssten „wegverhandelt“ werden. Mal sehen, wie sie es im August mit den Spielen in London halten.