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berliner szenenZiemlich voll wegen Putin

Ich kann’s einfach nicht fassen!“, lallte am Donnerstagabend ein Mann am Tresen und kippte sich noch einen Kurzen hinter die Binde. Kurz verzog er das Gesicht, griff zum Bier, sagte „Auf den Frieden“ und trank einen großen Schluck.

Ich tat ihm gleich, trank auch vom Bier, konnte es auch nicht fassen. Die Bilder der Nachrichten gingen mir in Dauerschleife durch den Kopf. Panzer, zerbombte Häuser, Raketen, Kampfhubschrauber, Stau auf den Straßen von Kiew, stadtauswärts, Menschen auf der Flucht, bewaffnete Menschen, das gefrorene Gesicht von Putin.

Dagegen die Bilder von der Demonstration am Brandenburger Tor. Ich dachte an die Fassungslosigkeit in den Gesichtern. Aber auch an das starke Gefühl der Verbundenheit. Ich dachte an die Flaggen, die Plakate – „STOP WAR“. Ich dachte an den Morgen, als mich mein Freund mit den Worten weckte: „Steh auf, der Krieg in der Ukraine hat begonnen.“ Ich stand auf und der Krieg hatte begonnen. Dann ein Kaffee, begleitet von den Nachrichten aus der Ukraine. Gedankenverloren blickte ich zu dem Mann am Tresen. Er prostete mir zu und wir kamen ins Gespräch.

Er war schon ziemlich voll. Er erzählte, dass er schon seit dem Mittag trinken würde – „wegen Putin“. „Ich kann’s einfach nicht fassen!“, wiederholte er. Ich sagte ihm, dass es mir auch so gehen würde, und erzählte ihm von einem Gespräch mit einem Kumpel wenige Stunden zuvor.

Da waren wir an einer Kneipe stehen geblieben, die am Eingang mit einem Wappen versehen war, in den Farben Blau und Gelb wie die der Ukraine. „Schau mal“, sagte ich zu meinem Kumpel, „siehst du die Friedenstaube auf dem Wappen. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen.“ Mein Kumpel erwiderte: „Das ist doch eine Möwe, die einen Fisch frisst.“ Vielleicht hatte er recht, aber ich wollte es nicht wahrhaben.

Eva-Lena Lörzer

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