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Archiv-Artikel

Visionen sind gefragt

Es sind die kleinen Erfolge, die die Menschen in einer strukturschwachen Region hoffen lassen, meint Christian Baumgartner, der neue Generalsekretär der Naturfreunde Internationale (NFI). Wichtig ist auf jeden Fall eine nachhaltige Entwicklung

taz: Herr Baumgartner, „Tradition entdecken – Natur erleben – Zukunft gestalten“, lautet das Motto der diesjährigen „Landschaft des Jahres“, des Jurabogens im französisch-schweizerischen Grenzgebiet. Es ist seit 1989 die zehnte Auszeichnung für eine europäische Region. Hat das von den Naturfreunden verliehene Prädikat in den Regionen etwas Bleibendes hinterlassen?

Christian Baumgartner: Bei einigen sicherlich, etwa an der Odermündung oder im Lesachtal. An der Odermündung gibt es heute einen funktionierenden Regionalentwicklungsverband, den wir mit unserer Aktion 1993 angestoßen haben. Das ist ein strukturelles Element, wie ich es mir als Ergebnis einer jeden „Landschaft“ wünschen würde. Dort können die Projektpartner von damals wirklich weiterarbeiten. In anderen ist nicht viel geblieben, was auch damit zusammenhängt, dass man in zwei Jahren nicht wirklich einen regionalen Entwicklungsprozess initiieren, durchführen und zum Abschluss bringen kann.

Alle Beteiligten wissen doch, dass eine „Landschaft“ ein zeitlich begrenztes Projekt ist. Was wollen Sie als neuer Generalsekretär der Naturfreunde ändern, damit das Engagement der Menschen vor Ort über die Zeit der Aktion hinausreicht?

Die Grundidee der „Landschaft des Jahres“ ist die nachhaltige Entwicklung einer Region. Was bei den bisherigen Regionen versäumt wurde, ist die konsequente Evaluierung dessen, was nach der zweijährigen Phase der Auszeichnung geblieben ist oder was fortentwickelt wurde. Ich möchte das Instrument „Landschaft des Jahres“ qualitativ verbessern. Und dazu müssen wir die Aktivitäten pro Landschaft verlängern. Zwei Jahre sind zu kurz, um Projekte so dauerhaft umzusetzen, dass es auch ohne unsere Präsenz weitergeht.

Was soll es einer künftigen „Landschaft“ bringen, wenn Daten aus einer Region herangezogen werden, die womöglich ganz andere Voraussetzungen hat?

Es soll nicht nur künftigen, sondern auch den bisherigen etwas bringen. Kontakte zwischen den Verantwortlichen und Multiplikatoren der vom Angebot her „ähnlichen“ Regionen könnten doch ein gemeinsames Marketing ermöglichen – für ein Produkt, das alle am Herzen liegt: den nachhaltigen, sanften Tourismus. Da möchte ich auch im Bildungsbereich ansetzen. Eine Idee wäre, Kurse für nachhaltige Entwicklung abzuhalten und Know-how auszutauschen. Im Jura etwa haben wir vorab einen runden Tisch organisiert. Dort haben wir Tourismusverbände, Politiker, lokale NGOs, Sozial-, Kultur- und Umweltverbände mit Partnern aus früheren Regionen zusammengebracht. Ziel war es, dass diese Partner die Erfahrungen mit der „Landschaft“ für ihre Zwecke nutzen. Der Jura ist eine Randregion. Sie hat ganz große strukturelle Probleme, auch wenn diese sich, da es sich um niedergehende Industrien handelt, anders äußern als im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern oder im Lebuser Land beidseits der Oder. Die Notwendigkeit, dass man dort mit der Bevölkerung zusammen an ihren Zukunftsvisionen arbeitet, gibt es im Jura genauso wie in anderen „Landschaften“.

Bei den Proklamationen alle zwei Jahre hat man schon mal den Eindruck, als feierten die Naturfreunde zunächst einmal sich selbst und ihr Engagement. Hat das Projekt „Landschaft des Jahres“ nicht ausschließlich symbolischen Charakter?

Symbole sind wichtig. Ich verstehe unser Engagement eher als Mutmachen. Man braucht kleine Erfolge, um die Menschen in einer solchen Region bei der Stange zu halten. Und die Rückmeldungen etwa aus der Region Lebuser Land sind durchweg positiv. Die Stimmung dort ist besser als vor ein paar Jahren. Das geht sicher nicht nur auf unsere Kappe, aber wir haben unser Mosaiksteinchen dazu beigetragen. Die Naturfreunde können in den Regionen ja auch nicht die Welt retten.

In der engeren Auswahl für die „Landschaft des Jahres“ 2007/2008 sind das Donaudelta und eine Region an der Grenze zwischen dem türkisch besetzten und dem griechischen Teil Zyperns. Haben die Menschen dort wegen der Armuts- und Umweltprobleme in Rumänien einerseits und der brisanten Situation in Zypern andererseits nicht gerade andere Probleme als die Förderung eines sanften Tourismus?

Unser Hauptfokus liegt ja nicht auf dem nachhaltigen Tourismus, sondern auf nachhaltiger Entwicklung. Gerade in Zypern sind Zukunftsperspektiven gefragt. Wenn es da an der Grenze zu Aktivitäten kommt, die für einen gewissen Zeitraum moderierte Prozesse in Gang bringen, trägt das dazu bei, Verständnis zu schaffen – was zu den Grundanliegen der Naturfreunde gehört. Vielleicht wird es dort weniger um Tourismus als um die Wasserversorgung gehen.

INTERVIEW: HENK RAIJER