KURZKRITIK: ANDREAS SCHNELL ÜBER „CALLAS“ : Unnennbares Sehnen
Weil die Klassiker des modernen Tanztheaters nicht ohne weiteres verfügbar sind wie der Kanon anderer Genres, ist es durchaus etwas Besonderes, wenn das Bremer Tanztheater und Reinhild Hoffmann ebendies unternehmen: die Rekonstruktion einer historischen Inszenierung.
„Callas“, vor knapp 30 Jahren in der Concordia uraufgeführt, ist kein biographisches Stück, Callas steht vielmehr für eine exemplarische Superstar-Persona, Projektionsfläche wie Idealfigur, die scheitert, weil es immer nur ein Mensch ist, der sie ausfüllt. Vom erbarmungslosen Drill zur Höchstleistung erzählt Hoffmann, wie von der Selbstaufgabe im Dienst von Kunst und Karriere, was in einer warenförmigen Welt nie ganz zu trennen ist. Es geht um Schein und Sein, um die Funktionalisierung der Künstlerin, um die Position der Frau in der Gesellschaft.
Acht Szenen führen diese Aspekte in so präzisen wie hinreißenden Bildern (Bühne wie einst: Johannes Schütz) aus, ein jedes begleitet von der Stimme der Callas – mit einer Ausnahme: Im siebten Bild „In der Bar“ hören wir die berühmt-berüchtigte Florence Foster Jenkins, die Kultstatus genoss, weil sie sich, wie es ein Kritiker schrieb, „nicht von den Absichten der Komponisten einschüchtern lassen“ habe. Diese Szene zeigt die Künstlerin als Spielzeug einer Gruppe Männer, die brutal mit ihrem Verlangen nach Nähe spielen: Das Ende einer Göttin – fast, denn der physische Zerfall steht noch bevor, zum unbarmherzigen Ticken des Metronoms, während ein junges Mädchen, das innere Kind der gebrochenen Diva, die sterben wollte, als sie ihre Stimme verlor, wie ein Engel auf einer Schaukel durch die Szene gleitet, während die Stimme der Callas aus Verdis „Troubadour“ die Arie vom unnennbaren Sehnen singt. Es ist vielleicht der nachdrücklichste Beweis für die Qualität dieses Abends, der in Bildern präzise etwas ausdrückt, was sich beschreiben ließe, aber auf seine eigene Weise einen wesentlich tieferen Eindruck zu hinterlassen im Stande ist.
Nächste Aufführung: 27. 6., 18 Uhr, Theater am Goetheplatz