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Archiv-Artikel

Historischer Wahlsieg der Linken

FRANKREICH Noch nie verfügte ein sozialistischer Präsident nach der Parlamentswahl über eine solche breite gesellschaftliche Zustimmung. Das kann aber auch zur Bürde werden

Alle 25 Regierungsmitglieder sind im ersten oder zweiten Durchgang gewählt worden

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Frankreichs politische Farbpalette hatte am Montag einen deutlich rosaroten Stich. Die französischen Linksparteien verfügen in der neuen Nationalversammlung über 341 von 577 Abgeordnetensitze, die bürgerliche UMP und ihre rechten Verbündeten über 229, die Zentrumspartei Modem über zwei, die extreme Rechte über drei, zwei Sitze gingen an Regionalisten in den Antillen. Mit dem Linksrutsch kam es auch zu einer Verjüngung und einer Feminisierung der großen Kammer, in der jetzt 155 weibliche Abgeordnete sitzen. Noch ist der Frauenanteil mit knapp 27 Prozent allerdings weit von einer Geschlechterparität entfernt.

Alle 25 Regierungsmitglieder, die kandidiert haben, sind im ersten oder zweiten Durchgang gewählt worden. Auch dies ist ein Erfolg für die Regierungspartei, denn in Frankreich gilt die ungeschriebene Regel, dass ein Minister, der einen solchen Vertrauenstest nicht besteht, aus der Regierung zurücktreten muss. Während der frühere Premierminister François Fillon in Paris ein Mandat erobern konnte, mussten mehrere frühere Mitglieder der Rechtsregierung Niederlagen einstecken, unter ihnen Exinnenminister Claude Guéan.

Vor allem die Vertreter des rechten Flügels der konservativen UMP hatten es bei diesen Stichwahlen schwer. Bei den Sozialisten fielen der ehemalige Kulturminister Jack Lang und Expräsidentschaftskandidatin Ségolène Royal durch. Royal, die haushoch gegen einen „dissidenten“ Sozialisten verlor, bezeichnete sich als Opfer eines „Verrats“ – in Anspielung auf eine Twitter-Botschaft der „First Lady“ Valérie Trierweiler. Royal versicherte, diese Niederlage bedeute für sie aber keineswegs einen Rückzug aus der Politik.

Viel Beachtung findet auch die mit 22 Jahren jüngste Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen vom Front National. Sie ist die Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen und Nichte der Parteichefin, Marine Le Pen, die selber ihre Wahl nur um 122 Stimmen Differenz verpasst hat.

Nicht genügend Abgeordnete hat die Linksfront (mit nur 10 Mandaten gegenüber 19 vorher für die Kommunisten) erhalten, um eine eigene Fraktion in der Nationalversammlung zu bilden, was umgekehrt erstmals bei den Grünen der Fall ist, die mit 17 Sitzen das erforderliche Minimum von 15 erfüllen.

Erst in einer Woche wird es um den Vorsitz der Deputiertenkammer gehen. Da Ségolène Royal, die als Favoritin für dieses Amt galt, in La Rochelle nicht gewählt wurde, ist das Rennen wieder offen. Die ehemalige sozialistische Justizministerin Elisabeth Guigou stellt sich zur Verfügung, auch ihr Parteikollege Claude Bartolone, ein Vertrauter von Parteichefin Martine Aubry, und Außenminister Laurent Fabius, erhebt Ansprüche. Der Parlamentspräsident steht in der Rangordnung der Republik an vierter Stelle.

Mit keiner Silbe kommentierte am Montag der französische Staatspräsident François Hollande seinen Wahlsieg, den die meisten Zeitungen als „historisch“ bezeichneten. Er nahm am Vormittag die nach den Neuwahlen obligate Demission von Premierminister Jean-Marc Ayrault entgegen und beauftragte ihn umgehend mit der Bildung eines Ministerkabinetts, das praktisch unverändert bleiben dürfte. Für Hollande bleibt auch wegen eines sehr befrachteten internationalen Terminkalenders kaum Zeit für Siegesfeiern. Er wird zum G-20-Gipfel in Mexiko und danach zur Konferenz Rio+20 erwartet. Zudem verhandelt er im Vorfeld des EU-Gipfels am Monatsende über seinen Vorschlag für einen Wachstumspakt. Dazu wünscht er laut Medien insgesamt Investitionen in der Höhe von 120 Milliarden Euro zur Ankurbelung der Volkswirtschaften in der gebeutelten Eurozone.