Vertrauen in Schröder

Ausreichend viele SPD-Abgeordnete folgen der Bitte des Kanzlers, nicht für ihn zu stimmen und Neuwahlen zu ermöglichen

Müntefering unmittelbar vor der Abstimmung: „Wir sind einig, dass Gerhard Schröder das Vertrauen der SPD-Bundestagsfraktion hat“

VON BETTINA GAUS

Einen höheren Symbolgehalt hätte der Abgang kaum haben können. Am Hinterausgang des Reichstagsgebäudes warteten Dutzende von Schaulustigen auf politische Prominenz, innen drängten sich hunderte von Journalisten um Abgeordnete der Regierungskoalition. Aber der Mann, um dessen politische Zukunft es ging, war allein. Schweigend und unauffällig verließ Gerhard Schröder um 12.37 Uhr das Parlament durch den nördlichen Seitenausgang, begleitet nur von einigen Leibwächtern und seiner Büroleiterin Sigrid Krampitz.

Zwanzig Minuten vorher hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das Ergebnis der Vertrauensabstimmung bekannt gegeben: Von 595 Abgeordneten hatten 151 mit Ja gestimmt, 296 mit Nein. 148 hatten sich der Stimme enthalten. Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der Mehrheit des Parlaments verloren. Auch wenn Schröder selbst es so gewollt hat: Es dürfte ein bitterer Tag gewesen sein für den Kanzler. Unsicher habe er am Morgen während der Sondersitzung der SPD-Fraktion gewirkt, erzählten Teilnehmer. Sein Versuch, die Vertrauensfrage auch damit zu begründen, dass er sich auf den Rückhalt in den eigenen Reihen nicht mehr vorbehaltlos verlassen könne, habe offenen Unmut hervorgerufen.

Im Plenarsaal war eine Stunde später weder von der Unsicherheit des einen noch vom Unmut der anderen etwas zu spüren. Ernst und konzentriert stand Gerhard Schröder am Rednerpult. Er habe sich seinen Schritt „reiflich und gewissenhaft“ überlegt. Ein Rücktritt, wie von Teilen der Opposition gefordert, ziehe gemäß Verfassung ein äußerst kompliziertes Verfahren nach sich, das „der Würde des Hohen Hauses nicht angemessen“ sei. Neuwahlen stünden „keine zwingenden verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen“.

Die Unterstützung für seine Politik, deren sich Schröder im Parlament nicht mehr sicher zu sein behauptet, will er sich nun von der Bevölkerung holen: Die Agenda 2010, die gegen „massive Widerstände von Interessengruppen“ und gegen „populistische Kampagnen“ durchgesetzt worden sei und in den Regierungsparteien zu „inneren Spannungen und Konflikten“ geführt habe, müsse fortgesetzt werden. Eine „Legitimation durch Wahlen“ sei dafür unverzichtbar.

Dieser Argumentation vermögen im rot-grünen Lager nicht alle zu folgen. Schröder habe nicht konkret genug dargelegt, für welche Politik genau er eigentlich fürchte, keine Mehrheit mehr zu haben, meint Christian Ströbele von den Grünen. Ein Parteifreund von ihm sieht einen „zentralen Widerspruch“ darin, dass man einerseits Wahlniederlagen mit der Reformpolitik begründe und andererseits gerade mit dieser Reformpolitik Wahlen gewinnen wolle.

Im Plenum ist von den Bedenken, die in der Lobby geäußert werden, nicht die Rede. Einzige Ausnahme: Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen. In einer persönlichen Erklärung hielt der ehemalige DDR-Bürgerrechtler ein flammendes Plädoyer gegen die Vertrauensfrage. Er sprach von einem „inszenierten, absurden Geschehen“ und kündigte eine Klage vor dem Verfassungsgericht an, sollte Bundespräsident Horst Köhler das Parlament auflösen. Für Empörung in den eigenen Reihen sorgte Schulz, weil er den Bundestag mit der DDR-Volkskammer verglich: Die habe auch nur ausgeführt, was die Staatslenker ihr vorgegeben haben.

Von diesem Misston abgesehen haben sich die Koalitionsfraktionen gestern so einmütig um ein harmonisches Bild bemüht wie selten. Gerhard Schröder konnte sich über Zustimmung von Abgeordneten aller Flügel seiner Partei freuen. „Wir kriegen die Wechselstimmung im Land nur weg, wenn wir mit dem innen-und außenpolitischen Pfund des Bundeskanzlers wuchern“, glaubt Volker Kröning. Und sogar der linke Schröder-Kritiker Otmar Schreiner hält gar nichts von der Idee, mit einem anderen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zu ziehen: „Das hieße, das Chaos auf die Spitze zu treiben.“

Für seine Rede erhielt der Kanzler von den Koalitionsfraktionen Standingovations. Möglich, dass dies den Bundespräsidenten ein wenig verwirrt, den Schröder mittags für eine Viertelstunde aufsuchte, um ihn vom Scheitern der Vertrauensabstimmung zu unterrichten. Auch die Rede des SPD-Partei- und Fraktionschefs Franz Müntefering dürfte nicht dazu beigetragen haben, die gestrige Entscheidung glaubwürdiger erscheinen zu lassen: „Wir sind einig, dass Gerhard Schröder das Vertrauen der SPD-Bundestagfraktion hat“, erklärte er, und als es daraufhin in den Reihen der Opposition etwas lauter wurde, sagte er, an Angela Merkel gewandt: „Machen Sie ein Misstrauensvotum, dann werden Sie sehen, dass Sie die Minderheit sind.“

„Gefährlich“ sei das gewesen, meinten hinterher einige Abgeordnete mit Blick auf die verfassungsrechtliche Prüfung der Angelegenheit. Es sei wohl nicht so recht der Tag von Müntefering gewesen. Das ist wahr – aber es war auch nicht der Tag der Opposition. Kanzlerkandidatin Angela Merkel und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle zollten der Entscheidung von Schröder zwar pflichtschuldig „Respekt“, aber dann verloren sich beide schnell im Klein-Klein gestanzter Wahlkampfreden.

„Dieses Land braucht Politik aus einem Guss“, rief Angela Merkel. Der „Zickzackkurs“ der Regierung schade dem Land, weil „Vertrauen so etwas ist wie der Schmierstoff unserer Demokratie“. Es gehe demnächst um eine „Richtungswahl“ zwischen einer Politik, in der alles weitergehe wie bisher, und einer Politik, „die Deutschland wieder nach vorne bringt“. Ein hübscher Versprecher war das Bemerkenswerteste an ihrer Rede: Gemeinsam mit der SPD – ach nein: mit der FDP wolle die Union die Herausforderungen der Zukunft meistern. Westerwelle will das auch und glaubt, dass Schröder an seiner eigenen „Mutlosigkeit, Wankelmütigkeit und mangelnden Kraft“ gescheitert sei, die ihn daran gehindert habe, mehr zustande zu bringen als eine „Schmalspuragenda“. Eine Steilvorlage für Joschka Fischer: Ein „Schmalspurpolitiker“ habe da gesprochen. Und Angela Merkel komme ihm angesichts der für sie günstigen Umfragen vor wie ein „Soufflee im Ofen“. Wenn der Wähler da hineinpiekse, werde man sehen, was davon übrig bleibe. Lust auf Wahlkampf scheint der grüne Außenminister tatsächlich zu haben.