: Fluten machen Kanzler
TV-Dokus satt zum 60. Jahrestag der Hamburger Sturmflut
Die große Flut von Hamburg, 53‘, 17. 2., 20.15 Uhr, Arte
Unsere Geschichte – Die Sturmflut 1962, 45‘, heute, 21 Uhr, sowie 17. 2., 6.50 Uhr und 19. 2., 12 Uhr, NDR
Die Nacht der großen Flut, 180‘, 16. 2., 3 Uhr, Phoenix
Von Wilfried Hippen
Vorm großen Auftritt von Helmut Schmidt zeigt Filmemacherin Heike Nikolaus in ihrer Dokumentation „Die große Sturmflut von Hamburg 1962“ einen üppigen Aschenbecher voller qualmender Kippen. Das ist schönste manipulative Filmmontage und dürfte für Heiterkeit sorgen. Ansonsten gibt es bei diesem Film über eine der größten Naturkatastrophen Deutschlands natürlich nichts zu lachen.
Zu deren 60. Jahrestag gibt es eine lange Filmnacht mit drei älteren Filmen bei Phoenix. Im NDR dürfen heute um 21 Uhr Zeitzeug*innen von ihren Erlebnissen erzählen. Und Arte präsentiert am Donnerstag um 20.15 Uhr die vom ZDF etwas aufwendiger produzierte Dokumentation von Heike Nikolaus. Viele der Originalarchivaufnahmen sind gleich und auch sie arbeitet mit Zeitzeugen.
Doch kommen bei Nikolaus mehr Spezialist*innen wie eine Hydrologin, eine Geografin, ein Deichbauingenieur und ein Meteorologe zu Wort, die sachlich erklären, wie es zu solch einer Katastrophe kommen konnte. Daran zeigt sich auch, dass dies eine Arte-Dokumentation ist, bei der wenn irgend möglich ein französischer Aspekt behandelt werden sollte: Ein Fünftel des Films ist in Paris aufgenommen, wo französische Spezialist*innen die große Sturmflut von Paris im Jahr 1910 analysieren. Und sie warnen, dass solch eine Katastrophe auch in Paris jederzeit wieder möglich ist.
Heike Nikolaus zeigt aber auch gleich mehrere Male schön fotografierte Aufnahmen vom Fischmarkt in Altona unter Wasser und von aktuellen Deicharbeiten in der Stadt. Heute können die Deiche einem Pegelstand von über 8 Metern über normal standhalten, 1962 brachen sie bei 5 Meter und 60 Zentimeter. Natürlich warnen auch hier die Fachleute vor dem steigenden Meeresspiegel wegen der globalen Erwärmung und dass eine Flutkatastrophe in Deutschland ohne Warnung hereinbrechen kann, hat das „Jahrhunderthochwasser“ im Juli 2021 bewiesen.
Und was war nun mit Helmut Schmidt? Der damalige Polizeisenator inszenierte sich später selber als großer Retter der Stadt und wurde auch wegen dieses Renommees in den 1970er-Jahren Bundeskanzler. Heike Nikolaus kratzt ein wenig an diesem Mythos. Ein Historiker ausgerechnet von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg berichtet, dass der Senator keinesfalls, wie von ihm gern stolz behauptet, mit der Anordnung von Militär-Einsätzen Hamburgs Verfassung und das Grundgesetz verletzt hat. Diese Dekonstruktion der politischen Ikone ist die große Überraschung der ansonsten solide produzierten Dokumentation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen