Osman Engin Die Coronachroniken: Das Corona-Wunder von der Weser
Bei Allah, dieses Corona ist sowas von heimtückisch und gemeingefährlich! Seit Tagen kämpfe ich ums Überleben und ein Ende ist nicht in Sicht! Es sieht sehr böse aus!
Mein ganzes Leben spielt sich vor meinem inneren Auge ab. Insbesondere „das Wunder von der Weser“, das Jahrhundertspiel Werder gegen Anderlecht vor 25 Jahren, als Werder aus einem 0:3 Rückstand noch ein 5:3 machte.
Ich denke auch an unseren ersten Hochzeitstag, an dem ich wegen diesem Jahrhundertspiel nicht teilnehmen konnte.
Alle eingeladenen Gäste waren da: Freunde, Bekannte, Nachbarn und auch meine Schwiegermutter aus Hamburg. Das alles weiß ich natürlich nur aus Eminanims Erzählungen und von den vielen Fotos, die sie an diesem Abend bei den Feierlichkeiten gemacht hat – als ich nicht da war.
Als ich fehlen musste, weil ich genau an dem Tag in Halle 4 zur Spätschicht gezwungen wurde. Mein unbarmherziger Meister hatte mich zu einer Extraschicht verdonnert, weil ohne mich das ganze Band stillgestanden hätte! Ach was, die ganze Fabrik, ja sogar die ganze Stadt!
Das war die Version, die ich Eminanim erzählt hatte und die sie zum Glück auch schluckte. Sie schluckte sie wie eine dicke Kröte – aber immerhin. Mit der Zeit, nach unzähligen Erzählungen und Beschwörungen meinerseits, glaubte ich sogar selbst daran.
Das Leben ging weiter – bis Corona es stoppte. Und bis meine Frau auch stoppte – in der ARD-Mediathek.
Da bin ich zu sehen – in Großaufnahme! Mit Werder-Mütze, grün-weißem Schal, Trillerpfeife im Mund und einer Bierflasche in der Hand. Neben mir Hans, Hasan und Nedim.
Niemand hat uns all die Jahre gesagt, dass wir bei diesem „Wunder von der Weser“ in Großaufnahme zu sehen waren – bis die ARD-Mediathek, um die coronabedingt zuschauerlose Fußballzeit zu überbrücken, sie aus der alten Mottenkiste holte und mich damit kaltblütig zum Abschuss freigab. Mich zum größten Corona-Kollateralschaden der Weltgeschichte machte!
Eminanim hat mein hübsches Bild mit der Werder-Pudelmütze, allen die wir kennen und nicht kennen, über WhatsApp, Facebook, Twitter, Instagram, Fax, Brief und Fahrradkurier sofort geschickt, mit dem Vermerk: „Osman während unseres ersten Hochzeitstages mit Hans, Hasan und Nedim im Fußballstadion.“
Überflüssig zu sagen, dass sie seit dieser Entdeckung nicht mehr mit mir redet und mir mit Sicherheit sehr viel Corona an den Hals wünscht.
Mein Kumpel Ahmet ist auch beleidigt, weil wir damals angeblich absichtlich vergessen hätten, ihn zum Spiel des Jahrhunderts mitzunehmen. Der zweite Corona-Kollateralschaden sozusagen.
Und als dritten Kollateralschaden will Hans nach 25 Jahren das Eintrittsgeld zurück haben, weil er mir das Geld vorgestreckt hatte.
Naja, dreimal ist Corona …, ich meine, Bremer Recht!
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