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russisch brotDer Suff, die Maske und ein Nichtraucher

Die russische Juniorenauswahl im Eishockey wird des Flugzeugs verwiesen. Eine Schande!Oder war am Ende doch alles ganz anders?

Der russische Mann ist einer, der viel Wodka trinkt. Wer würde diesem wunderbaren Klischee schon widersprechen. Das Bild, das gemeinhin vom russischen Mannsbild in der nichtrussischen Welt gezeichnet wird, passt nur allzu gut zu einer Meldung von der Junioren-WM im Eishockey, die am Neujahrstag die Reise um die Welt gemacht hat. Besoffen und renitent sollen demnach die Spieler der russischen und tschechischen Juniorennationalmannschaften im Eishockey gewesen sein, weshalb man sie aus dem Flieger von Kanada Richtung Europa, in den sie gerade eingestiegen waren, umgehend wieder hinausexpediert hat. Typisch – mag sich da so mancher denken.

Auch in Russland, wo die Mannschaft am Sonntag nach ihrem spektakulären letzten Auftritt bei der wegen allzu vieler Coronafälle abgebrochenen WM endlich gelandet ist, war das Entsetzen über die vermeintlich verkommene russische Jugend zunächst groß. Die Eishockeyprominenz des Landes meldete sich mit erhobenem Pädagogenzeigefinger zu Wort. So meinte der dreimalige Weltmeister Alexei Te­reschtschenko: „So ist sie, die Erziehung der jungen Generation von heute. Kinder sollten so erzogen werden, dass sie sich selbst und das Land, dessen Bürger sie sind, respektieren.“ Und der zweifache Olympiasieger Wjatscheslaw Fetisow meinte gar: „Sie haben Russland verraten.“ Natürlich hat der Skandal längst auch die Staatsduma erreicht. Swetjana Schurowa, eine ehemalige Eiskunstläuferin, die für die Kreml-Partei Einiges Russland in diesem merkwürdigen Parlament sitzt, sprach von einer Schande.

Doch von dem Entsetzen der ersten Stunden, nachdem Augenzeugen von den rüpelhaften Passagieren in Calgary berichtet hatten, ist drei Tage nach dem Vorfall nicht mehr viel übrig. Zunächst hatte man Sergei Subow, den Trainer der Juniorenauswahl, als einen der Hauptübeltäter ausgemacht. Er soll sogar im Flugzeug geraucht haben. Nach der Landung in Moskau meinte er dazu nur, dass er vor drei Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe. Auch sonst sei eigentlich nichts Besonderes passiert. Auch daran, dass jemand betrunken gewesen sei, könne er sich nicht erinnern. Wenn jemand gesoffen habe, dann seien es die Tschechen gewesen, auch wenn die meinten, nur deshalb aus dem Flieger geflogen zu sein, weil sich die Russen danebenbenommen hätten.

In der offiziellen Begründung für den Rauswurf aus der Maschine ist von Alkoholkonsum jedenfalls nicht die Rede. Verstöße gegen die aktuellen Hygienevorschriften werden da genannt. Für die Russen ist das Grund genug, nun mit dem Finger auf die Kanadier und ihr vollkommen übertriebenes Maskenregime zu zeigen. Die nämlich würden einen, dem die Maske beim Sprechen mal kurz unter die Nase gerutscht ist, wie einen Verbrecher behandeln. Das jedenfalls meint Marat Chusnutdinow, der Kapitän der Juniorenauswahl, der darauf hingewiesen hat, wie schwer es Ausländer, die mit dem Coronaregeln nicht vertraut sind, in Kanada doch haben: „Wenn da jemandem im Schlaf die Maske herunterfällt, dann wird er so lange durchgeschüttelt, bis er wach ist.“ Schuld an dem ganzen Schlamassel wären demnach also die Kanadier.

Dabei, auch das wird in etlichen Medienberichten in Russland erwähnt, seien das nun auch keine Unschuldsengel. Im Nachrichtenportal sport-express erinnert Kolumnist Michail Silis an die Eishockey-WM 2007 in Russland. Da hätten die Kanadier nach dem gewonnenen Finale so intensiv gefeiert, dass danach etliche Zimmer ihres Moskauer Hotels demoliert waren. Einen großen Aufschrei hat es damals nicht gegeben. Sieger dürfen sich eben etwas mehr als andere herausnehmen, vor allem wenn der Schaden hernach diskret beglichen wird. Im Vergleich dazu sei in Calgary so gut wie nichts passiert. Wie so oft fühlen sich die Beteiligten in ihrer Rolle als Russen in der Welt diskriminiert.

Schon einmal gab es Ärger um eine russische Auswahl im Flugzeug

Wie es wirklich gewesen ist, soll nun eine Untersuchung des Internationalen Eishockeyverbands zu dem Fall ermitteln. In Russland scheint man mittlerweile fest davon auszugehen, dass die Jugendspieler des Landes am Ende von allen Vorwürfen freigesprochen werden und feststehe, dass die Mitarbeiter von Air Canada grob russophob gehandelt haben. So russenfeindlich wie 2011 die Amerikaner nach der Junioren-WM im Eishockey in Buffalo. Auch damals hat man die Russen aus der Maschine, die sie zurück nach Europa bringen sollte, rausgeschmissen. Die frisch gekürten Weltmeister hatten wohl noch reichlich Restalkohol im Blut, als man sie von Bord verwiesen hat. Auch das sei schon übertrieben gewesen, meint Kolumnist Silis, der damals Augenzeuge war. Die Spieler mögen gefeiert haben, aber im Vergleich mit einer gewöhnlichen Studentenparty in Moskau sei das eine eher maue Angelegenheit gewesen.

Andreas Rüttenauer

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