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Kunstgeschichte in Eis

Intelligent, witzig und selbstironisch, dabei ohne Zweifel ernsthaft betriebene Kunst: Hank Schmidt in der Beeks Ausstellung „Die Fürst-Pückler-Bluse“ im Kunstverein Braunschweig

Von Bettina Maria Brosowsky

Als der Kunstverein Braunschweig kürzlich seine Mitglieder zur Manöverkritik einlud, mussten sich die beiden Mitarbeiterinnen Nele Kaczmarek und Klara Hülskamp auch Kritisches zum Ausstellungsprogramm der vergangenen Jahre anhören. Vieles des Gezeigten erschließe sich nicht unmittelbar, sei schwer verständlich oder zu anspruchsvoll, hieß es, von „Erklär-Kunst“, also stark erläuterunsgsbedürftigem künstlerischem Schaffen, war die Rede.

Dass ernsthaft betriebene Kunst aber auch mit Intelligenz, Witz und vor allem: Selbstironie zu überraschen vermag, demonstriert gerade der in Berlin lebende Hank Schmidt in der Beek mit seiner Ausstellung „Die Fürst-Pückler-Bluse“ im Erdgeschoss der Kunstvereins-Villa. Schmidt in der Beek, Jahrgang 1978, hat, ganz klassisch, bildende Kunst studiert, in Offenbach und an der Königlichen Akademie in Brüssel. 2007 erhielt er das Schindler-Stipendium des österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur sowie des Wiener Museums für angewandte Kunst: ein Studienaufenthalt in Los Angeles. 2009 folgte der „Szpilman Award für ephemere Kunst“, die ironische Auszeichnung aus dem Dunstkreis der Offenbacher Hochschule.

Hank Schmidt in der Beek kennt sich also aus im künstlerischen Handwerk, auch mit den Meilensteinen der Disziplin. An ihnen arbeitet er sich nun ab, etwa in dem er wichtige Werke der Malerei in ein vollkommen ungewohntes Kolorit überführt. Wie im Falle der nun den Titel stiftenden Bluse: Bezug ist ein farbintensives, erotisch deutbares Bild von Henri Matisse, „Der Traum“ oder „Die Schlafende“ geheißen, das eine schlummernde Frau in einer bäuerlich-rumänischen Bluse zeigt. Das 1940 entstandene Bild, im Besitz des Centre Pompidou, zählt zu einer Reihe von Frauenbildnissen, für die Matisse traditionelle Gewänder wählte.

Schmidt in der Beek nimmt den Bildaufbau, diesen anatomisch so merkwürdig zerfließenden Oberkörper der Frau, taucht ihn in Erdbeer-, Schoko und Vanille-Töne und breitet als Hintergrund das Muster einer gerasterten Eiswaffel aus. Die referenzierte Eiscrememischung in den charakteristischen Pastellfarben – international eher als “Neapolitan slice“ bekannt – soll der Koch des Exzentrikers und manischen Parkschöpfers Hermann Fürst von Pückler-Muskau erfunden und nach seinem Dienstherrn benannt haben.

Mit seiner experimentellen Verfremdung bewegt sich Schmidt in der Beek durchaus in der Arbeitsweise Matisse’: Der schuf nicht nur thematische Serien, etwa träumende, schlafende Frauen; er wiederholte auch Motive in Bildpaaren oder mehrteiligen Sätzen. Indem er sie in Zeichnung, Durchformung und Farbe variierte, erforschte er seine gesamte künstlerische Karriere hindurch die Malerei an sich, ihre Brüche, Rückschläge und Errungenschaften.

Schmidt in der Beek arbeitet sich ab an allerlei Meilensteinen seiner Disziplin

Eine große Installation widmet Schmidt in der Beek nun einer wahren Inkunabel der Kunstgeschichte: dem Raumarrangement, in dem Kasimir Malewitsch erstmals das Schwarze Quadrat zeigte. „0,10“ hieß Ende 1915 eine Ausstellung in St. Petersburg; sie umfasste 154 Arbeiten von sieben Künstlerinnen und sieben Künstlern, die in drei Zimmern eines Adelspalais für einen Monat zu sehen waren. Besonders wirkstark, da geheimnisumwittert, wurde aus den wenigen überlieferten Dokumenten ein Schwarz-Weiß-Foto: Zu sehen ist jene hohe Raumecke, von Malewitschs kleiner Arbeit diagonal überspannt – ein Sinnbild vorrevolutionärer Avantgarde. Für westliche Gewohnheiten ungewöhnlich, war dieser Platz im traditionellen russischen Wohnhaus der – religiösen – Ikone vorbehalten. Malewitsch ließ die Ecke zum Ort suprematistischer Beweisführung werden: Sein Schwarzes Quadrat führt aus der Welt des Gegenständlichen hin zum befreienden Höchsten, dem Nichts.

Dieses Ensemble in seiner dichten, sprichwörtlich: Petersburger Hängung überträgt Schmidt in der Beek ebenfalls in den ­Fürst-Pückler-Kanon. Undogmatisch ist auch, was er sonst so tut: Bildseiten aus Kunstbüchern werden durch Schlümpfe oder Mainzelmännchen kommentiert, für ein Plattencover seines „Lunsentrio“ adaptiert er Picassos „Drei Musikanten“, er verfasst Texte und Gedichte und pflegt seit 2009 mit dem Fotografen Fabian Schubert den Zyklus „Und im Sommer tu ich malen“: Die beiden ziehen an pittoreske Orte, dahin, wo einst Freilichtmaler wie Monet, van Gogh oder Caspar David Friedrich bekannte Bilder schufen. Schmidt in der Beek steht an der Staffelei, im karierten Hemd, gestreiften Poloshirt oder britischen Vintage-Pullover – und malt statt der Landschaft die Muster seiner Kleidung. Daraus entstand ein Buch, aber auch die Hamburger Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ließ das Cover eines Albums so gestalten – Titel: „Fuck Dance, Let’s Art!“

Akademischer präsentiert sich in Braunschweig die begleitende Gruppenausstellung „The Living House“: Sieben Künst­le­r:in­nen spüren in der Remise Situationen des Übergangs und sensorischen Schnittstellen des belebten Körpers zum Raum nach. Und die Produktivität des Kunstvereins selbst demonstrierten die Jahresgaben mit Arbeiten von 19 Künstler:innen, die bis 1969 zurückgreifen.

Hank Schmidt in der Beek: Die Fürst-Pückler-Bluse, The Living House sowie Jahresgaben: bis 20. 2. 22, Kunstverein Braunschweig

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