: Weniger auf die Fresse
Nicht gegendarstellungsfähig (X): Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Die sinkende Jugendkriminalität
Es ist wohlfeil, härtere Strafen für Jugendliche und junge Erwachsene zu fordern. CDU, CSU, Teile der SPD werden jetzt wohlfeil wahlkämpfen mit der Forderung, jugendlichen Straftätern härter entgegenzutreten. Jugendrichter werden überall im Lande durch die veröffentlichte Meinung, die Jugend laufe außer Kontrolle und Straftaten, insbesondere die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen, nähmen zu, zu härteren Strafen veranlasst. Das Klima in Jugendgerichtsprozessen ist heute von Strafbedürfnissen geprägt.
Eine Untersuchung des ehemaligen niedersächsischen Justizministers und Kriminologen Christian Pfeiffer belegt: Die Jugend wird – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung und der interessegeleiteten Kriminalstatistiken – friedlicher. Sie prügelt sich und andere weniger, sie raubt weniger. Geändert hat sich aber das Anzeigeverhalten: In vielen Bundesländern werden Schulen gezwungen, jede tätliche Auseinandersetzung auf dem Schulhof zur Anzeige zu bringen. Opfer von Gewaltübergriffen zeigen heute viel eher an als früher. Das führt zu einer Blähung der Kriminalstatistiken und gibt das Futter für die Verfolgungsgelüste autoritär gewirkter Rechtspolitiker. Die Statistiken der Unfallversicherungen der Schulen, denen seit jeher alle Folgen von tätlichen Auseinandersetzungen in Schulen vorgelegt werden müssen, belegen hingegen, dass seit 1997 die Zahl um gut ein Viertel zurückgegangen ist. Auch die Schwere der erlittenen Verletzungen ist deutlich zurückgegangen. Seit 1991 ist die Zahl der Tötungsdelikte von Jugendlichen zurückgegangen. Die Raubdelikte haben seit 1997 abgenommen.
Die Argumente, Jugendliche nicht leichtfertig wegzusperren, die in den Zeiten der rechtspolitischen Aufklärung zur Entwicklung des Jugendstrafrechts geführt haben, gelten allerdings nach wie vor: Knast und Unterbringung in geschlossenen Arrest- und Jugendstrafanstalten haben noch nie die Sozialisierung gefördert. Die Argumente von Christian Pfeiffer sollten zur Pflichtlektüre eines jeden Jugendrichters in Deutschland gemacht werden. JONY EISENBERG