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Archiv-Artikel

Wenn plötzlich der Fluss verschwindet

Die Goldsucher in der Mongolei entnehmen dem Ongi-Fluss so viel Wasser, dass er auf ein Viertel seiner früheren Länge geschrumpft ist. Hirten und Stadtbewohner würden „bald zu den Gewehren greifen“, befürchtet Umweltaktivist Munkhbayar

AUS ULAN-BATOR JUTTA LIETSCH

Als der Ongi-Fluss eines Tages versiegte, der Ulan-See staubtrocken dalag und in den Weidegründen der Hirten seiner Heimat kein Halm mehr wuchs, sagte sich Tserenbat Munkhbayar: „Wenn wir uns nicht wehren, gibt es keine Hoffnung mehr für unser Land.“

Es war 1998, als der Ongi verschwand. In normalen Jahren fließt er von seiner Quelle im Khangai-Gebirge über 435 Kilometer durch Steppe und Wüste, bis er sich in den Ulan-See ergießt. Auch in den nächsten Jahren sollte der Fluss nicht wiederkommen. Drei Kreisstädte, 60.000 Menschen und 800.000 Tiere, blieben ohne Wasser.

So entstand im Dezember 2001 die Ongi-River-Bewegung, die erste große Umwelt-Bürgerinitiative der Mongolei. Mit Protestmärschen, Kundgebungen und Petitionen an die Regierung spiegelte sie zugleich die großen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen wieder, die das Leben der 2,6 Millionen Mongolen seit dem Ende des Kommunismus 1990 prägen.

Ihre Mitglieder sind Leute wie der Journalist und Agronom Munkhbayar. Sie erkannten, dass die Dürre nicht nur eine jener Naturkatastrophen war, die den Steppen- und Wüstenstaat mit seinem hochempfindlichen ökologischen Gleichgewicht immer wieder heimsuchten.

In seinem kleinen Büro im Gebäude des Nationalparks für Information und Technologie in der Hochschulstraße von Ulan-Bator berichtet Munkhbayar über die Hintergründe des Umweltdesasters: „Das Gold ist schuld!“ Denn die Mongolei fiebert in einem Goldrausch, seit die Regierung 1993 damit begann, Lizenzen für den Abbau von Gold und anderen Edelmetallen zu vergeben. Allein im Gebiet des Ongi wurden 30 Gebiete abgesteckt – allerdings ohne Aufsicht und Kontrolle.

Die Schürfer machten sich daran, mit ebenso einfachen wie groben Methoden nach dem begehrten Metall zu suchen: Viele bauten Sperren in den Fluss, leiteten das Wasser in künstliche Teiche um, pumpten es dann durch dicke Schläuche, um mit dem kräftigen Strahl das Erdreich zu waschen – bis endlich Gold aus dem Sand schimmerte und das Wasser irgendwo versickerte.

Es dauerte nur knapp fünf Jahre, bis der Fluss so stark verbraucht war, dass er nur noch ein Viertel seiner ursprünglichen Länge hatte. „Das ging so schnell, weil der Ongi schon vorher geschwächt war“, erklärt der 39-jährige Munkhbayar, ein Mann mit kurzem Bürstenschnitt, kräftigen Wangenknochen und freundlichem Gesicht. Zu Zeiten der Planwirtschaft hatte man am Ongi zwar nicht nach Gold geschürft, aber ohne Rücksicht auf die Folgen Bäume abgeholzt, Bewässerungsgräben gezogen und das schützende Schilf am Ufer geschnitten.

Die Proteste der Ongi-Bewegung, die mittlerweile über 2.000 Mitglieder und Büros in acht Kreisstädten hat, hatten Erfolg: Einige der großen Sünder unter den Goldschürfern mussten ihren Betrieb schließen.

Viele aber arbeiten illegal weiter. Folge: Nicht nur die Arbeitslosen aus den Städten verdingen sich nun als „Ninjas“, sondern auch immer mehr Hirten, die wegen der Wasserknappheit ihre Tiere verloren haben. „Ninjas“ nennen die Mongolen die Goldsucher wegen der Plastikschüsseln, die sie auf dem Rücken tragen und die sie wie die Ninja-Schildkröten aus dem Zeichentrickfilm aussehen lassen. Rund hunderttausend Menschen verdienen so ihren Lebensunterhalt.

Auf der Suche nach Gold sind einflussreiche in- wie ausländische Unternehmen. Für die Wirtschaft des Landes, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks schwere Einbrüche erlebte, sind die edlen Rohstoffe mittlerweile zur wichtigen Einkommensquelle geworden. Die Goldproduktion hat sich seit Anfang der Neunzigerjahre von einer halben auf 14 Tonnen gesteigert.

Der Konflikt zwischen Schürfern und den Anwohnern, die um ihre Wasserquellen und ihr Land kämpfen, ist auch in anderen Landesteilen entbrannt. „Wenn wir einig sind, müssen die Politiker auf uns hören, obwohl wir nicht so stark sind wie die Minenbetreiber“, hofft Munkhbayar. Das Ziel seiner Gruppe, die von ausländischen Hilfsorganisationen in den USA und Japan sowie der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird: „Die Regierung muss dafür sorgen, dass sich der Ongi-Fluss und der Ulan-See erholen.“

Wenn die Behörden nicht energischer eingreifen, werden die Bewohner der ausgetrockneten Regionen versuchen, die Goldschürfer mit Gewalt zu vertreiben, warnt er: „An einigen Orten reden sie schon davon, zu den Gewehren zu greifen.“