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SPD-Parteitag:Die große Harmonie

Der SPD-Parteitag wählt Lars Klingbeil zum Parteichef und Kevin Kühnert zum Generalsekretär – in einer Mischung aus Zufriedenheit, Erschöpfung und Familienfeier

Aus Berlin Stefan Reinecke

Vor einer Woche hat die SPD auf einem Kurzparteitag mit fast 99 Prozent für den Koalitionsvertrag votiert. Der reguläre Bundesparteitag am Samstag sollte nun eigentlich drei Tage dauern. Doch pandemiebedingt ist vieles anders. Der zugige Saal im Berliner CityCube ist spärlich besetzt. Gut 500 Delegierte sind online zugeschaltet. Alles fällt eher kurz aus. Der Parteitag ist abends zu Ende, der Leitantrag umfasst nur acht Seiten.

„Ohne kontroverse Debatten gibt es keinen Fortschritt“ sagt Norbert Walter-Borjans leise mahnend in seiner letzten Rede als SPD-Chef. Der 69-Jährige hat auf eine Wiederwahl verzichtet. Das ist eine generöse Geste. Aber es ist ja auch lebensklug, zu gehen, wenn gerade alles bestens läuft.

Auf Kontroversen hat die Partei keine Lust. Auf eine lange Phase des Niedergangs und den Streit um die Groko folgten innere Einigung, Wahlkampf, Wahlsieg, Regierungsbildung. Nun herrscht eine Mischung aus Zufriedenheit und Erschöpfung. Sarah Ryglewski, neu ernannte Staatsministerin für Bund und Länder, sagt: „Wir haben ja eine Neigung dazu, schlechte Laune zu haben. Also lasst uns den Moment jetzt genießen.“ Damit trifft sie die Stimmung.

Saskia Esken erinnert an die „Zeiten, als der Niedergang der Sozialdemokratie unaufhaltsam schien.“ Diese Zeiten sind zwar erst ein paar Monate her, hier sollen sie wie ein ferner Alptraum scheinen. Man will es harmonisch. Esken lobt die Einigkeit der Partei und Wahlerfolg. Sie wird mit 76,7 Prozent als Parteichefin wiedergewählt – angesichts des grandiosen SPD-Sieges ein recht bescheidenes Ergebnis. Lars Klingbeil bekommt mit 86,3 fast zehn Prozent mehr. Das ist kein Votum für den Parteirechten und gegen die Parteilinke. Es drückt eher Sympathien aus. Klingbeil hat seit 2017 als Generalsekretär viel für den inneren Zusammenhalt der Partei getan. Dass es in der SPD keine Zerwürfnisse gab, als der Wahlsieg nur eine ferne Möglichkeit war, ist auch sein Verdienst. Er wirkt anders als Esken lässig, kommunikativ, er ist everybodies darling.

Klingbeil, Sohn eines Soldaten, mit einer für SPD-Rechte typisch innigen Beziehung zur Bundeswehr, ist mit 43 Jahren der jüngste SPD-Chef seit Langem. Er kann ausgleichen. Der neue Parteichef inszeniert sich als Versöhner – allerdings mit eingestreuten klaren Ansagen, ja Warnungen. Die SPD habe nach 2017 aus den Fehlern gelernt, jetzt müsse man aus dem Sieg lernen. Die SPD dürfe sich „nicht um sich selbst drehen“, sagt er. Kein Flügelstreit, kein Spalt zwischen Scholz und SPD, so seine Forderung.

Klingbeil vernebelt, dass Partei und Regierung nicht das Gleiche sind. Einer der gravierenden Fehler vor 2017 war ja gerade, dass die SPD völlig in der Regierungslogik verschwunden war. Deshalb wirkte sie im Wahlkampf 2017 so ratlos, blass und programmatisch leer.

Ein paar Aufrechte erinnern an das, was in der Ampel fehlt. Dass die SPD die sachgrundlose Befristung von Jobs abschaffen will, die Ampel diese nur einschränken wird. Dass es noch immer Widerstand gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen gibt. Aber für Meinungsstreit interessiert sich an diesem Tag niemand so recht. „Wir stehen an der Schwelle zu einem sozialdemokratischen Jahrzehnt“, sagt Klingbeil. Der Parteitag hört es gern. Auch wenn es angesichts der wankelmütigen Wählerschaft eine äußerst kühne Prognose ist.

Es geht nicht um das Ringen um Zukunftsstrategien, sondern um die reibungslose Abwicklung der personellen Rochaden. Fast alles läuft glatt. Thomas Kutschaty, der für die SPD die Wahl in NRW gewinnen soll, wird mit 85 Prozent zum neuen Parteivize gewählt, Kevin Kühnert mit knapp 78 Prozent zum Generalsekretär. Das ist angesichts der Polarisierung, für die der Ex-Juso-Chef stand, ein ordentliches Ergebnis. Der neue Job ist ein Scharnier zwischen Basis und Regierung. Auch Kühnert will von einer Frontstellung zwischen Kanzler und Partei nichts wissen, skizziert aber Aufgaben für die Partei. Das Konzept Bürgerversicherung müsse nachgeschärft werden. „Ich will als Generalsekretär Anwalt der Partei sein“, so Kühnert.

„Wir stehen an der Schwelle zu einem sozialdemokratischen Jahrzehnt“

Lars Klingbeil, SPD-Parteichef

Der 32-jährige Berliner hat eine raketenartige Karriere gemacht: Jusochef, Anführer der No-Groko-Bewegung, Vize-Parteichef, jetzt Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär. Und damit Machtfaktor in der Regierungspartei. Erkennbar ist nun das Rollenspiel zwischen Klingbeil und Kühnert. Man widerspricht sich nicht, setzt im Spannungsfeld Regierung-Partei aber andere Nuancen. Der linke Ökonom Gustav Horn wird wieder in den Parteivorstand gewählt. Das ist ein Zeichen, dass auch nach Walter-Borjans Abtritt Finanzpolitik eine Rolle spielen soll.

Und dann kommt der Kanzler, der erste seit 16 Jahren auf einem SPD-Parteitag. Olaf Scholz sitzt sieben Stunden geduldig im Saal. Er sagt in seiner Rede nichts ganz Neues, die Signalworte Fortschritt und Respekt kennen alle aus dem Wahlkampf. Aber er skizziert die strategische Aufgabe, die er der SPD zuweist. In der Wirtschaft gehe es um zweierlei: Deutschland muss technologisch und global konkurrenzfähig bleiben und Klimapolitik als Industriepolitik forcieren. Nur so lasse sich der Wohlstand bewahren: „Gute, sichere Arbeitsplätze für ganz normale Leute“. Mit diesem Gleichklang von Sicherheit und Fortschritt will Scholz auch „die falschen Freunde der einfachen Leute“ bekämpfen. Das ist ein Zitat eine Buches von Robert Misik über Rechtspopulismus.

Dieses Programm fasst die Kerngedanken des Kanzlers der letzten Jahre zusammen. Die SPD soll die Partei einer sozial abgefederten Modernisierung im Dienst „normaler Leute“ sein, erweitert um den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Ökologie dann, wenn sie sich rechnet. Biodiversität ist in Scholz' Vokabular selten.

So soll eine sozialdemokratische Hegemonie entstehen. Das ist die Basis des Traums vom sozialdemokratischen Jahrzehnt. Scholz ist ein durchschnittlicher Redner. Es ist mitunter kaum zu merken, dass er hier eine kühne Strategie vorlegt. Wenn die SPD die Bundestagswahl gewinnen kann, was ist dann noch unmöglich?

Interview mit Gustav Horn auf taz.de

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