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Welche von den Guten

Neue Kinder- und Jugendbücher verhandeln Vergangenheit und Gegenwart von Rassismus in den USA. „One of The Good Ones“ ist ein spannender Roadtrip, „Game Changer“ ein überraschender Social Thriller

Von Ramona Lenz

Es gibt Menschen, die wissen schon sehr früh in ihrem Leben, dass sie sich nicht mit erlebtem oder wahrgenommenem Unrecht abfinden werden. Sie treten für ihre Überzeugungen ein, auch wenn es sie in Schwierigkeiten bringt. Die von María Isabel Sánchez Vegara herausgegebene Bilderbuchreihe „Little People, Big Dreams“ stellt zahlreiche Wissenschaftler:innen, Künst­le­r:in­nen, Politker:innen, Mu­si­ke­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen vor, die nicht nur herausragende Leistungen in ihren jeweiligen Fachgebieten erbracht, sondern auch auf gesellschaftliche Veränderungen gedrängt haben.

Auch wenn dabei notgedrungen verkürzt und vereinfacht wird, ist es ein Verdienst der Reihe, dass schon Kinder ab dem Kindergartenalter außergewöhnliche Biografien kennen lernen und sich darüber ungeahnte Möglichkeitsräume erschließen können.

Mehrere Bände stellen Persönlichkeiten vor, die sich gegen Sklaverei und Rassentrennung in den Vereinigten Staaten aufgelehnt haben, etwa Harriet Tubman, Rosa Parks, Ella Fitzgerald und Martin Luther King. In diesem Herbst sind zwei weitere hinzugekommen: einer über die Tänzerin Josephine Baker, illustriert von Agathe Sorlet, und einer über den Spitzensportler Jessie Owens, illustriert von Anna Katharina Jansen. Dass sie Rassentrennung und ganz unterschiedlich davon beeinflusste Lebensläufe nicht als Randphänomen behandelt, sondern zu einem ihrer zentralen Themen macht, ist ein weiterer Pluspunkt der Reihe.

Doch warum Rosa Parks und nicht Claudette Colvin, die junge Frau, die sich einige Monate vor der bekannten Bürgerrechtlerin Parks weigerte, ihren Platz im Bus für Weiße freizugeben? Dass Colvin keine vergleichbare Berühmtheit erlangte, lag wahrscheinlich daran, dass sie zum Zeitpunkt ihres zivilen Ungehorsams mit einem unehelichen Kind schwanger war. Die Bewegung fürchtete, dass dies dem Anliegen, die Rassentrennung zu überwinden, schaden könnte.

Zur Ikone werden

Colvin galt also nicht als „eine von den Guten“, wie eine Passage in dem Jugendroman „One of the Good Ones“ der Schwestern Maika und Maritza Moulite nahelegt. Im Zentrum dieses Romans steht die junge gut aussehende Pastorentochter Kezi, die sich über ihren Youtube-Kanal elaboriert für die Rechte Schwarzer in den USA einsetzt.

Als sie eines Tages Opfer von Polizeigewalt wird, sind Anteilnahme und Empörung in der Öffentlichkeit groß, und sie wird zu einer Ikone der Black-Lives-Matter-Bewegung. Kezis Eltern und die beiden Schwestern werden daraufhin ungewollt selbst zu öffentlichen Personen, von denen erwartet wird, das politische Anliegen von Kezi an ihrer Stelle weiterzuverfolgen.

Die jüngste Schwester Happi hat darauf überhaupt keine Lust. Sie wäre gern „ein ganz normales Mädchen, das draußen sitzt und die letzten Sonnenstrahlen eines ereignislosen Tages genießt“. Doch als Schwester einer bekannten, durch Polizeigewalt ums Leben gekommenen Aktivistin – und als Schwarze in den USA – gibt es für sie ein solches Normal nicht.

Zusammen mit ihrer Schwester Genny und den beiden engsten Freun­d:in­nen von Kezi begibt sich Happi schließlich auf eine noch von Kezi minutiös geplante Reise durch die USA; eine Reise entlang von Orten, die das in den 1960er Jahren zuletzt herausgegebenen „Green Book“ für Schwarze Au­to­fah­re­r:in­nen als Anlaufstellen markiert hat: Hotels, Tankstellen, Restaurants, in denen Schwarze zu Zeiten der Jim-Crow-Gesetze nichts zu befürchten hatten.

Die vier jungen Leute folgen auf ihrer Reise den Spuren von Kezis, Happis und Gennys Vorfahren, die das „Green Book“ genutzt haben, um sicher durchs Land zu kommen. Mit ihnen erfährt die Leserin etwas über die Double V Campaign, Black Cowboys, Sundown Towns und andere unterbelichtete Aspekte US-amerikanischer Geschichte. Es entwickelt sich ein aufwühlender Roadtrip durch die Vergangenheit und Gegenwart eines zutiefst rassistisch geprägten Landes.

Die beiden Autorinnen haben eine multiperspektivische Erzählweise gewählt und nehmen abwechselnd die Sicht von Kezi und Happi sowie in Zeitsprüngen auch die ihrer Vorfahren ein. Außerdem wird die Geschichte einer weiteren jungen Frau eingeflochten, deren Verhältnis zu den anderen lange unklar bleibt. Im dritten und letzten Teil des Buchs erschließen sich plötzlich auf ungeahnte, aber schlüssige Weise Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Erzählsträngen, und das Buch entwickelt sich zu einem atemberaubenden Thriller. Bis zuletzt spielt die Frage, wer zu den Guten gezählt wird und wer nicht, eine zentrale Rolle. Die Botschaft des Romans: Menschen – insbesondere Schwarze Opfer von Polizeigewalt – nach den Verhältnissen zu beurteilen, aus denen sie kommen, spaltet und entmenschlicht.

Vollkommen normal

Wenn Happi schon kein Interesse daran hat, eine herausragende Position in der Gesellschaft einzunehmen, so gilt das noch einmal mehr für Ash, die Hauptfigur in Neal Shustermans Science-Fiction-Roman „Game Changer“. Anders als Happi fühlt Ash sich als weißer, heterosexueller cis-Junge aus der Mittelschicht, umgeben von einer ethnisch diversen Gruppe von Freund:innen vollkommen normal und ist der Überzeugung, dass Hautfarbe in seinem Umfeld keine Rolle spielt. Er demonstriert gelegentlich gegen Polizeigewalt, kann sich aber nicht vorstellen, dass es seinem besten Freund Leo etwas ausmacht, wenn Ashs Großvater den Wagen verriegelt, sobald er einen Schwarzen sieht. Mit Rassismus hat das für ihn nichts zu tun.

Schon bald bekommt Ash jedoch die Gelegenheit, die Welt aus anderen Perspektiven zu betrachten. Nach einem Zusammenprall beim Football – einem Tackle – passiert es: Ash wacht nach einer kurzen Ohnmacht in einem anderen Universum auf.

Bei weiteren Tackles verändert sich die Welt erneut. Prinzipiell werden dabei alle möglichen Geschichtsverläufe, die im Sande verlaufen sind, wieder möglich. Ash versteht nach und nach, dass er darauf Einfluss nehmen kann. Versehentlich führt er so die Rassentrennung wieder ein und entfremdet sich von seinen Freund:innen. Das Ganze hat jedoch auch sein Gutes: Ashs Vater hat als junger Mann ein Stipendium erhalten, für das er in der alten Realität abgelehnt worden war, und die Familie ist nun wohlhabend.

Shusterman fordert mit seinem Roman zu Fragen heraus wie: Muss man zugunsten einer gerechteren Welt das Wohl der eigenen Familie zurückstellen? Was macht es mit uns, in eine reiche oder arme Familie geboren zu werden? Wie viel von uns ist angeboren, wie viel wird durch unsere Umwelt geprägt? Wie viel vom großen Ganzen können wir aus unserer begrenzten Perspektive begreifen und beeinflussen? Was ist wichtiger: die Welt zu verändern oder sich selbst? Und was wäre gewesen, wenn wegweisende historische Entscheidungen anders gefällt worden wären?

Konkret: Was, wenn die Mehrheitsverhältnisse beim Obersten Gerichtshof andere gewesen wären und die Richter 1954 für die Beibehaltung der Rassentrennung an öffentlichen Schulen in den USA gestimmt hätten?

Auf die an einigen Stellen wie nachträglich eingestreuten Verweise auf die Coronapandemie hätte man gut verzichten können, ansonsten sind „Game Changer“ und mehr noch „One of the Good Ones“ beeindruckende Jugendbücher zu Vergangenheit und Gegenwart des Rassismus in den USA.

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