Bremer Integrationswoche: Die Kraft des Vorurteils

In der Show „Bremens Super-Gastarbeiter:innen“ geht es um Klischees. Toll, wie da der Schwachsinn, den man so denkt, rausgekitzelt wird.

Ein Blick in einen Sack Kartoffeln

Prima integrativer Preis bei den Kartoffeln Foto: picture alliance/dpa

Nicht so toll an der „Bremer Integrationswoche“ ist nur ihr beflissen-administrativer Name. Der klingt irreführenderweise so, als würde hier eine siebentägige Assimilationsleistungsschau abgehalten oder ein Wettbewerb im Integriert- und Integrativsein.

Was selbstverständlich gar nicht der Fall ist.

Und selbstverständlich gelingt es den Ma­che­r*in­nen, auch diesen Umstand der borussomanen Anstrengerei restlos zu beseitigen. Indem sie ihn aufgreifen: Im Kulturzentrum Lagerhaus im Herzen des Viertels, das sozusagen Bremens Kreuzberg ist, nur vor dem Mauerfall, hat das am vergangenen Samstag Fatma Express erledigt, die von der famosen Saher Khanaqa-Kükelhahn gegründete migrantische Improtheatergruppe aus dem Bürgerzentrum Neue Vahr (bekannt aus Buch und Film). Das Ensemble hat tadschikische, kurdische, sächsische Wurzeln, Menschen mit globalen Identitäten, und es sind sogar Spie­le­r*in­nen aus dem Nachbarstadtteil willkommen.

„Bremens Super-Gastarbeiter:innen“ heißt die Show. Der Eintritt ist für Deutsche frei, steht in der Ankündigung, für alle anderen nach nachvollziehbaren Kriterien gestaffelt. Einen Aufschlag von 5 Euro müsse die türkische/kurdische/arabische Community zahlen, schließlich stellt sie die Mehrheit der Migrant:innenszene, und logo ist das Ironie, aber vielleicht reicht die flagrante Ungerechtigkeit, für einen Moment die Zornesröte ins Gesicht zu treiben und das Blut in Wallung zu bringen. Schließlich geht es um das Spiel mit Stereotypen und als Prämie einen Sack Kartoffeln. Der ist in Zellophan gehüllt auf einem Tischchen drapiert. Eine würdige Trophäe: „Was ist der Mensch ohne Kartoffeln?“, hat einst Johannes Bobrowski die Essenz des Germanentums in einer schlichten Frage erfasst.

Der Ossi gewinnt

Manche spielen wirklich toll. Boris zum Beispiel hat eine krasse Bühnenpräsenz. Seine Mutter sei Serbin, sein Vater Slowene und er selbst ein Jugo!, bekennt er im roten T-Shirt mit aufgedrucktem Tito-Kopf in Schwarz-Weiß. Seit 50 Jahren lebt er in Deutschland, hat noch immer keinen Pass, haha!, der Moderator deutet an, er könnte vielleicht noch einen drauflegen auf den Sack Kartoffeln, falls er den denn gewinnen sollte.

Tut er nicht: Um darstellerisches Vermögen geht es bei Improtheater nie so sehr. Es geht darum, mit dem Saal, der brodelnd voll ist, Bilder im Kopf zu triggern, den Schwachsinn, den man wechselseitig von sich denkt, rauszukitzeln. Laut sein, schrill sein, sich ansteckend kaputtlachen können über die debilsten Karikaturen seiner selbst, sind dafür die Kernkompetenzen. Und das Publikum muss mitarbeiten: Es hat, wenn jemand sich verhaspelt, die Hassparole „Lern Deutsch!“ gen Bühne zu schleudern und stellt so das Scheitern der Integrationsbemühungen amtlich fest: Du bist schon mal raus aus dem Rennen um den Sack Kartoffeln!

Und wer gewinnt? Wir alle, lautet die kitschige Antwort, denn Integration ist … Aber für Kitsch ist hier kein Platz und Sieger des Abends wird selbstverständlich – der Ossi.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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