: Wo viele allein sein wollen
Drei Filmemacher aus Schleswig-Holstein haben mit „Hotspot – Island zwischen Massentourismus und Einsamkeit“ einen Reisefilm mit ökologischer Botschaft gedreht
Von Wilfried Hippen
Ein Tourist wird in Island über Tourist*innen in Island befragt und er beklagt sich darüber, dass es zu viele von ihnen gibt. Diese absurde Szene bringt den Widerspruch des Films „Hotspot – Island zwischen Massentourismus und Einsamkeit“ auf den Punkt. Denn Tom Köhn, Niklas Christensen und Carlos Viering waren 2019 selbst als Touristen in Island unterwegs, drehten dabei aber auch einen Film, der kritisch die Auswüchse des Tourismus auf der Insel dokumentiert.
Sie waren, statt zu fliegen, vier Tage lang mit der Fähre angereist und sie fuhren mit dem eigenen Auto zu den Touristenattraktionen. Die Busladungen derer, die sich solch Luxus nicht leisten können, zeigen sie meist aus der Ferne und mit einem deutlich kritischeren Blick als etwa eine Individualreisende, die davon schwärmt, wie sie mit ihrem Vierradantrieb die Berge hinaufbrettern kann. „Einen Vierradantrieb haben wir nicht“, sagt einer der Drei im Off-Kommentar, und so müssen sie sich bei der Bergwacht, deren Arbeit sie für ein paar Tage begleiten wollen, eine Mitfahrgelegenheit erbitten, um in ein hoch gelegenes Basislager zu kommen.
Genau solche ironischen Brüche und Unschärfen machen den Reiz dieser Mischung aus Reisefilm und Dokumentation aus. Zum einen erzählen die drei in angenehm persönlichem Ton davon, wie sie 30 Tage lang auf Island herumgereist sind. Wie sie im Zelt geschlafen, was sie gegessen und wie sie von einem Ort zum anderen gekommen sind. Dabei wurden sie einmal von einem Busfahrer übers Ohr gehauen, der während der Fahrt plötzlich das Dreifache des vereinbarten Fahrpreises verlangte und sie dann mitten in einer Steinwüste aus dem Bus warf. Auch über ein Sandwich für 13 Euro haben sie sich geärgert und sich später am Schneidetisch gefreut, denn nichts ist langweiliger als ein Film über eine Reise, bei der nichts schiefgeht.
Die drei hatten auch eine Drohne dabei, und so gibt es in ihrem Film schöne Landschaftsaufnahmen von Gletschern, Bergen, Fjorden und einer Herde von wilden Pferden, die über eine Brücke galoppieren. Das ist dann die im Filmtitel versprochene „Einsamkeit“ – und hier zeigt sich auch, dass Tom Köhn und Carlos Viering mit Werbefilmen ihr Geld verdienen. Schließlich haben die drei gut recherchiert und sich mit einer Reihe von Isländer*innen verabredet, die etwas mit dem Tourismus zu tun haben. Einige verdienen dadurch ihren Lebensunterhalt, andere stehen ihm kritisch gegenüber – und so zeigt der Film auch, wie komplex dieses Thema ist. 30 Prozent der Einnahmen Islands werden durch Tourismus erwirtschaftet, vor Corona besuchten fast drei Millionen Tourist*innen pro Jahr das Land mit kaum mehr als 261.000 Einwohner*innen.
Köhn, Vierung und Christensen produzierten ihren Debütfilm unabhängig – mit wenig Geld, das sie mühsam zusammensuchen mussten. Eine Crowdfunding-Kampagne war nicht erfolgreich, erst eine kleine Förderung der Filmwerkstatt Kiel machte die Realisierung möglich. Auf die Idee zu dem Film kamen die drei, nachdem Carlos Vierung seine Hochzeitsreise nach Island gemacht hatte und dort in der Hauptsaison nicht die Einsamkeit fand, auf die er gehofft hatte. Im Sommer 2019 reisten sie nach Island, fertig war der Film Mitte 2020 – der Kinostart wurde wegen Corona mehrfach verschoben.
Wenn der Film jetzt in die Kinos kommt, ist er schon nicht mehr aktuell, denn wegen der Pandemie wird es für die nächste Zeit kaum noch Massentourismus in Island geben. Gleich der erste Satz „Reisen ist der Trend unserer Zeit“ klingt wie aus einer vergangenen Zeit, die Bilder von langen Menschenschlangen in Gletscherlandschaften haben einen eher historischen Wert.
Auf einer anderen Ebene ist „Hotspot“ ganz auf der Höhe der Zeit: Weil solche Reisen gerade schwer möglich sind, schauen sich die Menschen gern Filme über andere Länder an. Jetzt sind die Filmemacher, die den Film gerade auf einer Kinotour vorstellen, selbst überrascht davon, wie erfolgreich er ist. So war jüngst eine Vorstellung in Bremen schnell ausverkauft, es wurden zusätzliche Termine angesetzt. Das Publikum mag diesen Film, denn Köhn, Viering und Christensen sind sympathische Reisegefährten und es gelingt ihnen, ihre Reiselust und ein ökologisches Bewusstsein miteinander zu verbinden: Sie sind die nachhaltigen Touristen.
Der Film läuft in Schwerin (20. 11. und 3. 12.), Bremen (21. 11 und 23. 11.), Rendsburg (1. 12.), Hamburg (5. 12.) und Lübeck (15. 12.)
„Hotspot – Island zwischen Massentourismus und Einsamkeit“: Regie: Tom Köhn, Niklas Christensen, Carlos Viering, Deutschland 2020, 89 Minuten; www.hotspot-film.de
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