: Feiern auf dem Tahrir
ÄGYPTEN Nach dem Sieg Mursis bei den Präsidentschaftswahlen jubeln die einen, die anderen haben Angst vor einer Islamisierung
MAHMOUD SABRI, KINDERARZT
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Freudentriller hallen über den Tahrirplatz. „Mursi, Mursi, Mursi“, rufen die Leute, so, als wollten sie den Stürmer ihres Lieblingsfußballclubs anfeuern. Der Kairoer Nachthimmel wird von buntem Feuerwerk beleuchtet. Es ist die Wahlparty der Sieger. Hunderttausende waren in der Nacht zum Montag auf dem Platz im Zentrum Kairos zusammengeströmt. „Ich bin unendlich glücklich. Ich kann das nicht in Worte fassen, es ist fast unbeschreiblich, das Gefühl, über ein betrügerisches Regime einen Sieg errungen zu haben“, meint Doaa Zidan, die Angestellte einer Ölfirma, die mitfeiert.
Viele hier atmeten nach der Verkündung des Wahlsiegers Mursi erleichtert auf, auch wenn sie selbst keine Anhänger der Muslimbruderschaft sind. „Mir ist das Herz fast stehen geblieben, als sie das Wahlergebnis verkündet haben, so angespannt war ich. In den Tagen davor haben sie unsere Nerven auf die Folter gespannt“, erzählt der Kinderarzt Mahmud Sabri. Er habe Mursi gewählt, um Schafik zu verhindern, weil er der Inbegriff des alten Regimes sei.
Alle auf dem Platz wissen aber auch, dass der Kampf mit dem Obersten Militärrat noch bevorsteht. Der hat bereits nach der Schließung der Wahllokale in einer Übergangsverfassung die Macht des neuen gewählten Präsidenten massiv beschnitten. Wenn Mursi nächste Woche sein Amt antritt, dann ist er ein Präsident mit gestutzten Flügeln.
„Mursi selbst ist nicht stark. Seine eigentliche Stärke bezieht er durch uns auf dem Tahrir. Wir werden hinter ihm stehen und so lange hier bleiben, bis sie ihm alle seine Machtbefugnisse zurückgegeben haben“, sagt Sabri.
Ein paar Häuserblocks vom Tahrir entfernt herrscht eine fast unheimliche Stille. Während die Sieger auf dem Platz feiern, haben sich die Verlierer in ihre Häuser zurückgezogen. Eine davon ist Abla Hamdi, eine pensionierte Altertumsrestauratorin. Sie gehört zu den 48 Prozent der Wähler, die Ahmed Schafik, dem letzten Premier Mubaraks, ihre Stimme gegeben haben. Weniger weil sie das alte Regime zurückhaben wollte, als vielmehr, weil sie Angst vor einem Muslimbruder im Präsidentenpalast hat.
„Ich bin deprimiert. Ägypten wird sich mit den Muslimbrüdern sicher nicht zum Guten entwickeln“, sagt sie. Sie fürchtet, dass die Muslimbrüder aus Ägypten einen Gottesstaat machen. „Das Problem ist, dass sie die Religion falsch verstehen. Vielleicht zwingen sie mir etwas gegen meinen Willen auf.“ Aber wie viele Schafik-Wähler versucht sich Hamdi mit dem Wahlergebnis abzufinden: „Mursi hin oder her, ich bete zu Gott, dass ich mit meiner Einschätzung falsch liege und dass bei den Muslimbrüdern vielleicht doch etwas Gutes herauskommt.“
Mursi hat in einer ersten Fernsehansprache versöhnliche Töne angeschlagen, auch mit Blick auf die Schafik-Wähler. Er bezeichnete sich als Präsident aller Ägypter und forderte sie auf, das Land gemeinsam voranzubringen.
Für den Chef des Al-Ahram-Zentrums für Sozialstudien, Nabil Abdel Fatah, stellt die Wahl einen „wichtigen politischen Wendepunkt dar, nachdem Ägypten 30 Jahre lang politisch tot war“. Für ihn ist der Sieg der Muslimbrüder auch ein Sieg der benachteiligten ländlichen Gebiete über die städtische Elite. Diejenigen, die auf dem Tahrirplatz stehen und Mursi feiern, kommen zum großen Teil aus den Provinzen“, sagt er. Selbst die Antrittsrede Mursis hätte teilweise den Charakter gehabt, als spreche er von der Kanzel eine Dorfmoschee, meint Abdel Fatah.
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