piwik no script img

Archiv-Artikel

Lichtjahre entfernt

NOMINIERUNGEN Es gibt Überraschungen auf der Shortlist zum diesjährigen Deutschen Buchpreis

Ups. Da werden jetzt in mancher Literaturredaktion Romane, die man bereits abgehakt hatte, wieder hervorgeholt werden müssen. Die Shortlist zum Deutschen Buchpreis ist raus – und eine Überraschung ist, dass mit drei von sechs nominierten Büchern die Hälfte aus dem Frühjahrsprogramm stammt. Das ist eigentlich ganz im Sinne des Preises, schließlich soll der beste Roman seit der letzten Buchmesse prämiert werden, aber ungewöhnlich ist es dennoch.

Vielleicht ist es ja auch eine Art stiller Protest gegen die Schnelllebigkeit des Literaturbetriebs? Als solcher wäre es sogar ganz sympathisch. Auch wenn man trotzdem nicht glaubt, dass nun Rainer Merkels „Lichtjahre entfernt“, Kathrin Schmidts „Du stirbst nicht“ oder Clemens J. Setz mit seinem Buch „Die Frequenzen“ den Buchpreis gewinnen werden. Interpretieren wir ihre Nominierungen doch dahingehend, dass hier eine von renommierten (und vielleicht auch ein wenig dickköpfigen) Literaturkritikern getragene Jury – Hubert Winkels, Martin Lüdke, Iris Radisch, dazu Richard Kämmerlings und Daniela Strigl – sich nicht von vornherein den Verwertungsinteressen eines breiten Publikumspreises unterworfen wollten. Und freuen wir uns über die Aufmerksamkeit, die diese Bücher jetzt noch kriegen werden.

Daneben wird nun also der 1951 geborene Schriftsteller Norbert Scheuer den Platz des Geheimfavoriten einnehmen, den auf der Longlist Terézia Mora innehatte; eigentlich war sie die Autorin gewesen, von der man dachte, dass sich am Schluss die meisten Juroren auf sie werden einigen werden. Dass sie herausgefallen ist, ist eine weitere Überraschung. Scheuer dagegen wurde von Hubert Winkels schon einmal in eine Anthologie aufgenommen und von der durch Richard Kämmerlings in der Jury vertretenen FAZ vorabgedruckt – das sind so die Spekulationsspielchen, zu denen der Buchpreis verleitet.

Die gerade in ihrer Fragwürdigkeit interessanteste Aufgabe für die Jury wäre es aber, zwischen Herta Müller und Stephan Thome eine Reihenfolge herzustellen. Herta Müllers Roman „Atemschaukel“ fußt noch ganz in der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts, Stephan Thomes Roman „Grenzgang“ sucht dagegen nach einem Weg, Lebensläufe in der bundesrepublikanischen Gegenwart zu erzählen. Unterschiedlicher können literarische Ansätze nicht sein. Aber nur einer kann am 12. Oktober den Preis gewinnen. Wir sind gespannt. DIRK KNIPPHALS