: Mit Barroso in die Zukunft
José Manuel Barroso Der neue Präsident der EU-Kommission ist der alte. Doch die Wahl des konservativen Portugiesen ist erst der Auftakt des Gerangels um 25 Kommissariate
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Selten hat man einen Kandidaten so erleichtert gesehen: Als José Manuel Barroso nach der Abstimmung am Mittwoch von Parlamentspräsident Jerzy Buzek in den Plenarsaal gebeten wurde, strahlte er in die Runde und warf Luftküsschen wie ein Popstar. Mit 382 Stimmen hat der Portugiese seine absolute Mehrheit, die der neue Lissabon-Vertrag erfordern würde, bekommen, obwohl diesmal noch die Mehrheit der Anwesenden gereicht hätte.
Üppig ist das Ergebnis dennoch nicht. Da es nur 117 Enthaltungen gab, muss es unter den 219 Nein-Stimmen neben linken und grünen auch einige sozialistische und liberale Stimmen gegeben haben. Dabei hatten die Sozialisten angekündigt, sich der Stimme zu enthalten, während die Liberalen den Kandidaten des Rates erklärtermaßen unterstützt hatten. Doch nach der Wahl ist vor der Wahl. Schon morgen wird diese Arithmetik keinen mehr interessieren. Stattdessen geht das Gerangel um die anderen Posten los.
„Sobald wie möglich“ sollten nun die übrigen Kommissionsmitglieder bestimmt werden, ermahnte Buzek den frisch gebackenen Präsidenten der Kommission. Doch bis zum 2. Oktober wird gar nichts passieren. An diesem Tag stimmen die Iren erneut über den Lissabon-Vertrag ab (siehe Text rechts). Stimmen sie zu, wird der Druck auf die Präsidenten von Polen und Tschechien steigen, nun rasch ihre Unterschrift unter die Vereinbarung zu setzen. Die Daumenschrauben liegen schon bereit. Denn andernfalls bliebe der seit dem Jahr 2000 gültige Nizza-Vertrag in Kraft, und dann müsste mindestens ein Land auf einen Kommissar in Brüssel verzichten. Was läge näher, als diejenigen Länder abzustrafen, die einer Reform im Wege stehen?
Die Daumenschrauben werden wirken, und die Reform wird nach einer Zustimmung der Iren nicht mehr aufzuhalten sein. Der Jubel unter den Politikern wird einhellig sein, denn es gibt danach eine Menge neuer Posten zu verteilen. Der Rat der Regierungen wird sich einen Präsidenten wählen, der ihm auf zweieinhalb Jahre vorsteht. Schon jetzt ist Tony Blair im Gespräch, der sich als EU-Beauftragter für den Nahen Osten offensichtlich nicht ausgelastet fühlt. Blair ist zumindest dem Parteibuch nach Sozialist. Der neue Außenminister müsste also aus dem konservativen Lager kommen. Die Sozialisten im Europaparlament haben aber schon deutlich gemacht, dass sie den Posten gern für sich beanspruchen würden.
Neben dem Kommissionschef, dem Ratspräsidenten und dem Außenminister werden 25 Kommissarsposten zu besetzen sein. So viele Mitglieder hat nicht einmal die französische Regierung. Deshalb wird schon jetzt gespottet, dass neben dem völlig überflüssigen Kommissar für Minderheitensprachen künftig wohl noch mehr kuriose Kommissariate aus dem Boden wachsen. Doch Barroso hat sich über dieses Problem bereits Gedanken gemacht. In seiner Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament kündigte er am Dienstag an, das Ressort für Justiz und Inneres in zwei Bereiche aufzuspalten. Künftig soll es, wie die Liberale Fraktion verlangt hatte, einen Kommissar für Justiz, Grundrechte und Freiheiten geben. Ein anderes Ressort soll sich mit Innenpolitik, Migration und Grenzsicherung befassen. Als Signal an die Grünen verspricht Barroso ein Extraportfolio für den Kampf gegen Klimawandel.
Wenn Barroso seine Mannschaft komplett hat, muss er sich noch einmal dem Votum des Europaparlaments stellen. Deshalb ist sein diplomatisches Geschick weiterhin mehr gefragt als mutige politische Visionen.
Denn hinter den Kulissen rangeln die Regierungen bereits um die mächtigsten Posten in der Kommission. Vor allem die Ressorts Binnenmarkt, Industrie, Wettbewerbskontrolle und Außenhandel sind begehrt. Martin Schulz, der deutsche Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, will die neue Kommission nur unterstützen, wenn die „ökologischen, sozialen und ökonomischen Felder“ mit sozialistischen Kommissaren besetzt werden. Mit diesem Interessenausgleich wird Barroso alle Hände voll zu tun haben. Für den Finanzgipfel in Pittsburgh oder die Klimakonferenz in Kopenhagen bleibt da wohl kaum mehr Energie übrig.