: Der Sound des untergegangenen Syriens
Unsentimental und sensitiv – im Studio der Akademie der Künste stellt die Initiative „Syrian Cassette Archives“ ihre Schätze vor
Von Robert Mießner
Wenn es mal nur nicht zu niedlich, zu kitschig wird, hatte sich Hazem Jamjoum gewünscht, bevor am Samstagabend im Studio der Akademie der Künste am Hanseatenweg ein Quartett syrischer Musiker ein Konzert geben sollte, das dann tatsächlich unsentimental, dafür jedoch sensitiv geriet. Jamjoum ist jemand, der einen Traumjob vorweisen kann: Er ist an der British Library für die Sammlung von Aufnahmen des frühen 20. Jahrhunderts mit Bezug auf die arabischen Länder und die Golfregion zuständig.
Am Samstag gehörte er zu einem vierköpfigen Podium, mit dem die Initiative „Syrian Cassette Archives“ vorgestellt werden sollte. Es handelt sich dabei um ein Archiv, das diese Bezeichnung offenbar mit einer gewissen Vorsicht verwendet.
Sein Gründer, der Produzent, Musiker und Sammler Mark Gergis, betont, dass seine Kollektion keine kanonische, sondern eine persönliche sein solle. Einen Querschnitt hatte er in Form eines Mixtapes mitgebracht. Das ist stilecht, dabei wäre der abwechslungsreichen Compilation eine LP-Veröffentlichung zu wünschen.
Gergis sagte, ihn habe der Golfkrieg von 1991 politisiert. Zwischen 1997 und 2010 hat er, selbst mit irakisch-nordamerikanischem Hintergrund, während mehrerer Aufenthalte in Syrien Kassetten gesammelt. Von den 1980er bis in die frühen 2000er Jahre waren Kassetten das hauptsächliche Musikmedium in Syrien.
In der Akademie der Künste sind sie in einer kleinen Ausstellung zu sehen. Ihre Cover geben mehr als einen Hinweis auf die Bandbreite der Tapes. Da sind trickfilmhafte Motive neben solchen aus der Fauna, ernste Porträtfotos neben Popästhetik zu sehen.
Schwerpunkt der Sammlung sind regionale Folk- und Popstilistiken, wie sie auf Hochzeiten und anderen Festlichkeiten zu hören sind. Mit einbegriffen sind Livekonzerte, Studioalben, Solokünstler, klassische und religiöse Musik. Syrisch meint hier die Sounds mehrerer Communitys, darunter der arabischen, assyrischen, kurdischen und armenischen.
Die Auswahl soll und kann keine heile Welt präsentieren, das ist auch auf der Podiumsdiskussion deutlich zu bemerken. Eines der ausgestellten Tapes zeigt auf seinem Cover – es gehört zu einer Auswahl, die noch einmal extra auf Postergröße gezogen war – einen vermummten Kämpfer mit Panzerfaust. 2011, ein Jahr nach Gergis‘ letzter Reise, begann der syrische Bürgerkrieg.
Auf dem Akademie-Podium zeigt Gergis Fotos der Orte, an denen er die Kassetten erstanden hat: Einen Straßenkiosk in Damaskus, der die Kassetten gleich neben den Zeitungen und Zeitschriften anbietet. Das Foto ist von 1997. Oder ein richtiges Kassettengeschäft in Aleppo mit Kunden, aufgenommen 2006.
Die Musik, die nach der Diskussion zu hören ist, hat etwas von einem „Trotzdem“: treibende Perkussion, gespielt von Anas Moubayed auf einer wuchtigen Zylinder- und einer filigranen Bechertrommel. Dazu Omid Suleimans elektrifizierte, einmal lang gezogene, dann wieder Morsecode-artige Läufe auf der Buzuq, einer arabischen Langhalslaute.
Suleiman ist auch als expressiver Sänger zu hören, neben Mamoun Hamada, der, als er nichts zu singen hat, von der Bühne geht. Das kann übrigens auch einer Bescheidenheit geschuldet gewesen sein. Komplettiert wurde die Band von Rizan Sai‘id und seinem mehrmals regelrecht perkussivem Keyboardspiel; das Quartett hat ausufernd psychedelische Qualitäten.
Warum es seltsamerweise im Akademiestudio in der rechten Bühnenhälfte gedrängt aufspielt, während die linke verwaist bleibt, aber dabei moosgrün angestrahlt wird, muss im Dunkeln bleiben.
Dafür lösten sich während des Konzerts mehr und mehr Tanzfreudige aus den Stuhlreihen. Zuerst waren es drei, dann ein ganzes Dutzend im Knäuel. Eigentlich hätten sie auf die Bühne gehört, Platz wäre ja gewesen. Eigentlich, aber.
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