: Was wäre, wenn …?
Auf Attentate wie in London wäre Berlin gut vorbereitet, sagen Ärzte, Feuerwehr und Bewag. Wegen der Fußball-WM wurden Katastrophenpläne präzisiert. Im Notfall übernimmt die Innenverwaltung das Kommando
Niemand möchte es sich vorstellen, aber unwahrscheinlich ist es nicht: Auch Berlin könnte Ziel von Terroranschlägen werden, wie sie die europäischen Hauptstädte London und Madrid erlebten. Glaubt man den zuständigen Stellen, scheint die Stadt auf solche Katastrophen vorbereitet. Innerhalb kürzester Zeit wären Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser einsatzbereit, ein Krisenstab unter der Leitung der Innenverwaltung übernähme die Koordination. Katastrophenschutz ist in Deutschland schließlich Ländersache.
Auch der Berliner Feuerwehrchef Albrecht Broemme hält die Stadt für gut gerüstet. Tote und Verletzte könne man bei solchen Anschlägen nicht verhindern, so Broemme gestern. Aufgrund der Größe der Stadt hätten man aber sehr gute Chancen, schneller und effektive Hilfe zu leisten.
In Berlin gibt es 38 Aufnahmekrankenhäuser, die im Notfall sofort einsetzbar seien, sagte gestern die Sprecherin der Gesundheitsverwaltung, Roswitha Steinbrenner. Die Krankenhäuser könnten mehrere tausend Verletzte schnell aufnehmen. Katastrophenfälle würden regelmäßig geübt, bei einer Übung in der Charité seien 500 Mitarbeiter innerhalb von 90 Minuten zusätzlich ins Krankenhaus gekommen. Wird ein Katastrophenfall ausgerufen, haben die Behörden auch stärkere Durchgriffsrechte: So können im Extremfall Kranke mit leichten Beschwerden aus den Hospitälern entlassen werden, um Platz für die Notfälle zu schaffen.
Der leitende Vivantes-Notarzt, Henrik Schierz, glaubt, dass Berlin für den Notfall gerüstet ist. Mit Blick auf die Fußball-WM 2006 seien die Katastrophenschutzpläne gerade ausgefeilt worden. Wenn viele Menschen an unterschiedlichen Stellen der Stadt verletzt seien, würden vor Ort Notbehandlungsstellen in Zelten eingerichtet. Eine Stunde nach dem Ereignis hätten die Krankenhäuser ihre Kapazitäten verdoppelt. Diese verfügen zudem über Vorräte an Medikamenten, die nur für Katastrophen vorgesehen sind.
Fast noch schneller als die politisch Verantwortlichen, die sich gestern am Nachmittag zu einer Krisensitzung trafen (siehe Bericht oben), haben die Berliner Verkehrsbetriebe reagiert. Auf den Leuchttafeln in den U-Bahnhöfen lief schon am Mittag der „Sicherheitshinweis“, einsame Gegenstände per Infosäule der Leitstelle zu melden. Intern organisiert die BVG den Betrieb nach vier Warnstufen (Grün, Gelb, Orange, Rot). Die gestern ausgerufene Stufe „Gelb“ besagt, dass – neben den Kunden über die Laufschrift – alle FahrerInnen angewiesen werden, auf Ungewöhnliches zu achten, zum Beispiel verlassene Koffer oder Taschen. „Außerdem haben unsere Leitstellen einen kurzen Draht zum Katastrophenschutz“, sagte BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Wegen des U2-Konzerts im Olympiastadion sei gestern mehr Sicherheitspersonal in Bussen und Bahnen unterwegs gewesen.
Käme es in Berlin tatsächlich zu einem Attentat, übernähme ein Krisenstab unter Ägide der Innenverwaltung das Katastrophenmanagment. Er hielte auch Kontakt zu wichtigen Versorgern wie den Wasserbetrieben oder dem Stromversorger Bewag. Dort gibt es auch firmeneigene Planungen. „Selbstverständlich haben wir einen Notfallplan mit den nötigen Informationsketten“, sagte gestern Eike Krüger, Sprecher der Wasserbetriebe. Denkbare Szenarien würden regelmäßig in Übungen geprobt.
Auch die Bewag wäre im Falle des Falles gewappnet. Im Unternehmen existiert ein Krisenstab mit Mitarbeitern aus den Bereichen Stromerzeugung, Netz, Entstörungsdienst und Kommunikation – ein Benachrichtigungssystem würde ihn in „sehr kurzer“ Zeit zusammentrommeln, sagte Sprecherin Barbara Meifert. Das Stromnetz ist engmaschig und dezentral organisiert. Es umfasst 43.000 Kilometer Leitungen, die zu 98 Prozent unterirdisch verlaufen, 144 Umspannwerke funktionieren als Verteiler, und in der Stadt gibt es 13 Kraftwerke. „Ein großflächiger Ausfall ist nach den Maßstäben der Vernunft nicht möglich“, so Meifert. „In London gibt es doppelt so viele Stromausfälle wie hier, zudem dauern sie doppelt so lang.“ Wegen Berlins Historie als Insel befindet sich die Stadt in einer glücklichen Lage: Sie könne sich sogar versorgen, wenn sämtliche Zuleitungen von außen gekappt würden.
RICHARD ROTHER, ULRICH SCHULTE