: Bert Brecht hätte geklatscht
Mit Pop hinterlegt und trotzdem bitterernst: Christina Tscharyiski hat Brechts Lehrstück „Die Mutter“ im Berliner Ensemble inszeniert
Von Charlotte Eisenberger
Eigentlich hat der Mensch sich selbst reingeritten. Ins Elend und in die Ausbeutung, in den Sexismus und die Ungerechtigkeit. Aber eigentlich ist er auch schlau genug, das alles zu hinterfragen, das Elend zu sehen und zu bekämpfen. „Was der Mensch erschaffen hat, kann der Mensch verändern!“, ruft Pawel verzweifelt. Pawel, das ist der Sohn von Pelagea Wlassowa, einer Arbeiterwitwe aus Russland. Sie beide wurden von Bertolt Brecht erstmals zum Sprechen gebracht und von der Regisseurin Christina Tscharyiski wieder auf die Bühne zitiert unter dem Titel „Die Mutter – Anleitung zur Revolution“, mit Texteinschüben aus jüngerer Zeit, im Berliner Ensemble.
Christina Tscharyiski, die damit das dritte Mal im BE die Regie übernahm, bestückte das Drama von Brecht mit Texten von Frank Peppe und der russischen Aktivistin Nadja Tollokonikova, bekannt aus der Protestpunkband „Pussy Riot“, von der sich die Regisseurin auch den Untertitel „Anleitung zur Revolution“ entlieh.
Schon im Einstiegsmonolog von Pawel wird der Gegenwartsbezug unüberhörbar benannt. Der Monolog spannt einen Bogen von der Klassengesellschaft über die Coronakrise zu den Ausbeutungen in niedrig bezahlten Jobs, zu steigenden Mieten etc. So stellt sich schon am Anfang heraus: Hier wird kein gealterter Theatertext aufgeführt, sondern eine moderne Interpretation nach brechtscher Manier. Brecht ist dafür bekannt, gesellschaftliche und politische Ereignisse seiner Zeit in Figuren und in Geschichten zu verpacken, die die Widersprüchlichkeit des Handelns aufzeigen. Nicht zuletzt wegen seiner klaren politischen Haltung musste er 1933 aus Deutschland emigrieren. „Die Mutter“ wurde kurz vorher, 1932, uraufgeführt und sollte Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen für die KPD mobilisieren.
Vor diesem Hintergrund spielt auch die moderne Fassung von Christina Tscharyiski: Das ganze Geschehen setzt in der Vergangenheit an, um 1905. Die Witwe Pelagea Wlassowa, gespielt von Constanze Becker, ist in Sorge um ihren Sohn, der, statt sich von der schweren Arbeit auszuruhen, Bücher liest und zu Versammlungen geht. Dazu haben sie immer weniger zu essen, denn ständig wird der Lohn gekürzt, von dem sich beide ernähren müssen. Aus mütterlicher Sorge um das Kind, welches sich anscheinend absichtlich in Gefahr bringt, gerät die Mutter selbst in die Arbeiterbewegung hinein und beginnt zu verstehen, wofür die jungen Menschen kämpfen wollen. Und wird zum Symbol der Arbeiterbewegung und des Widerstands.
Tscharyiski erzählt eine Emanzipationsgeschichte, zeigt aber gleichzeitig auch die Missstände der heutigen Zeit auf, in denen immer weiter Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorherrschend sind.
Eine Lehrstunde in Kommunismus, könnte man fast sagen, so wie es Brecht gefallen hätte. Dabei läuft das Stück aber nicht Gefahr, trocken und langweilig zu werden. Denn neben der Band, die unter der Leitung von Wanda-Gitarrist Manuel Poppe das Stück mit Liedern von Hanns Eisler begleiten, denen die Musiker ein bisschen Pop beigemischt haben, gibt es auch eine Improvisation als Überbrückung für einen Umbau, die der Geschichte der Mutter und ihren Mitrevolutionären etwas von ihrer schicksalshaften Schwere nimmt.
Peter Moltzen wird kurzerhand in ein Farbdosenkostüm gesteckt, samt Deckel auf dem Kopf und richtig gewählter Farbe: In einem Old Holland Light Red beginnt er darüber zu philosophieren, was es bedeutet, auf der Bühne stehen zu können. Und natürlich hat er recht, wenn er sagt, dass auch dieser Quatsch auf die Bühne gehört und dass auch diese Arbeit genauso fair bezahlt werden muss.
So geht der Inszenierung trotz allen Ernstes und Komplexität die Unterhaltung nicht verloren.
Wieder am 6./7./8. Oktober am Berliner Ensemble
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