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… Sex­arbeiter:innen

Nur drei der großen Parteien gehen in ihren Wahlprogrammen auf Sexarbeit ein. Dabei ist die Gruppe der möglichen Wäh­le­r:in­nen groß

Dass Sexarbeit im Wahlkampf keine Rolle spielen würde, war absehbar. Mit Sex, noch dazu mit gekauftem Sex, machen sich KanzlerkandidatInnen in der Öffentlichkeit ungern die Finger schmutzig. Dass das Thema allerdings insgesamt nur bei drei der größeren Parteien in den Wahlprogrammen auftaucht, verwundert dann schon. Schließlich führen die verschiedenen Herangehensweisen an Rechte, verpflichtende Gesundheitsberatungen oder den Umgang mit Zwangsprostitution regelmäßig zu Unmut zwischen den Parteien.

Aber die geschätzt 200.000 bis 400.000 Sexarbeitenden hierzulande, von denen die weitaus größte Mehrheit Frauen sind, haben traditionell kaum Lobby. Und ganz offensichtlich sind sie keine Klientel, der als Wäh­le­r:in­nen­grup­pe größere Bedeutung beigemessen wird.

Während SPD, FDP und AfD das Thema ignorieren, geben die Wahlprogramme zumindest bei Union, Grünen und Linkspartei etwas her. Dabei spricht schon die Stelle, an der Sexarbeit jeweils einsortiert wird, Bände. Bei der Union versteckt sich Prostitution zwischen „Mehr Sicherheit“ und „Kein Raum für organisierte Kriminalität“. Die Grünen beschreiben ihre Vorstellungen hingegen unter dem Label „Feminismus, Queerpolitik und Geschlechtergerechtigkeit“. Das weniger stigmatisierende Wort Sexarbeit nimmt allerdings nur die Linkspartei in den Mund. Bei ihr wird Sexarbeit unter dem Stichwort „Arbeit“ verhandelt.

Um diejenigen, die Sexarbeit als Arbeit sehen, geht es bei der Union kaum. Ihr Fokus liegt auf Zwangsprostitution und Menschenhandel. Dass beides existiere, sei inakzeptabel, schreibt die Partei, und nennt als Gegenmittel vor allem Verbote und Strafen. So solle Prostitution von Schwangeren verboten und der Straßenstrich stärker reguliert werden. Das Prostitutionsgewerbe solle „deutlich schärfer“ kontrolliert, wer sich der Zuhälterei schuldig mache, härter bestraft werden.

Auch die Grünen wollen vor Zwang und Ausbeutung schützen, Prostituierten aber gleichzeitig Selbstbestimmung ermöglichen. Zum einen soll es dafür einen Aktionsplan gegen Menschenhandel geben. Opfer sollen nicht einfach abgeschoben werden. Ein dauerhaftes Bleiberecht erhöhe die Aussagebereitschaft und erleichtere die Strafverfolgung der Täter. Menschen, die in der Prostitution arbeiten, bräuchten Rechte und Schutz, auch vor Stigmatisierung und Kriminalisierung. Die Arbeitsbedingungen in der legalen Prostitution sollen sicherer und besser werden.

Die Linkspartei will Sexarbeit entstigmatisieren und Selbstorganisation sowie Beratungs- und Fortbildungsangebote fördern. Sie fordert einen Anspruch auf Sozialleistungen und sozialversicherte Beschäftigung. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung findet sich bei der Linkspartei anders als bei Union und Grünen gar nicht erst in einem Atemzug mit der Sexarbeit. Bekämpfen will sie ihn trotzdem – und wie die Grünen auch den Betroffenen einen Aufenthaltstitel zuerkennen.

Die SPD, in der es in den vergangenen Jahren brodelte, was Sexarbeit betrifft, tut im Wahlprogramm zwar so, als gebe es das Thema gar nicht. Allerdings hatte sich der Vorstand schon im November 2020 gezwungen gesehen, den Streit in Partei und Fraktion mit einem Positionspapier zu deckeln. Zwar taucht die Sexarbeit auf 66 Seiten Wahlprogramm also kein einziges Mal auf – die Position der Partei aber ist damit am ausführlichsten dokumentiert.

Im Positionspapier nutzt auch sie das Wort Sexarbeit, spricht sich für deren Entstigmatisierung sowie Sicherheit im Arbeits-, Sozial- und Strafrecht aus. Ein bundesweiter Runder Tisch – eine Forderung der Berufsverbände selbst – soll eingerichtet, Zwangsprostitution bekämpft, die Istanbulkonvention gegen Gewalt gegen Frauen auch in dieser Hinsicht umgesetzt werden. Ein Sexkaufverbot, um das sich der Streit innerhalb der Partei drehte, lehne man zumindest „derzeit“ ab.

Patricia Hecht