piwik no script img

berliner szenenWieder Stress am Ostkreuz

Dieses Mal klappt es. Ich bin mir sicher. Heute schaffe ich es raus aus Berlin. Der Zug fährt bereits in den Bahnhof Ostkreuz ein. Was soll jetzt noch schiefgehen? Selbstverständlich, das Wetter ist gegen mich. Es regnet in Strömen. Mit unterkühlten Böen kündigt sich viel zu früh der Herbst an, der alte Miesepeter. Ich hätte mich wärmer anziehen sollen. Wenigstens eine Regenjacke und feste Schuhe. Ich friere, meine Zähne klappern. Vielleicht habe ich mich angesteckt. Das kann passieren. Einfach so.

Der Zug ist zum Stehen gekommen und gleichzeitig der Augenblick, meine Maske aufzusetzen. Frisch gewaschen und griffbereit in der Hosentasche. Leider habe ich die Hose noch gewechselt, bevor ich aus der Wohnung stürzte. Ich glaubte, kurze Hosenbeine seien vielversprechender. Die Fahrgäste steigen aus. Alle tragen Masken. Vorbildlich! Ich suche in den hundert Taschen meiner Bergsteigershorts und in dem geliehenen, unübersichtlichen Wanderrucksack suche ich auch. Ich beginne zu schwitzen. Wenigstens klappern die Zähne nicht mehr. Also doch kein Covid-19.

Erst neulich habe ich in der taz gelesen, Stress verringert die Lebenserwartung. Das Tragen von Mundnasenbedeckungen ist also nicht zuletzt Abwägungssache. Schließlich kann das Coronavirus ebenfalls auf die Lebenserwartung einwirken. Grundlegend sogar. Allerdings glaube ich, unser ganz gewöhnliches Leben in all seinen enigmatischen Verästelungen beeinflusst die Lebenserwartung am natürlichsten. Der Gedanke beruhigt mich irgendwie. Ich begreife, dass ich Prio­ri­tä­ten setzen muss. Der Zug fährt ohne mich. Die Schaffnerin lächelt mir aus der Fahrerkabine herzlich zu. Dabei zeigt sie mir ihre Zähne. Vielleicht hätte diese Schaffnerin mich sogar ohne Maske mitfahren lassen. Ihr Lächeln wärmt mich, während ich durchnässt nach Hause radle. Henning Brüns

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen