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Archiv-Artikel

KIM TRAU POLITIK VON UNTEN Die Lektion meines Vaters

Die Legende hält sich hartnäckig. Doch es liegt wirklich nicht an den Eltern, wenn Kinder transsexuell werden

Eigentlich wollte ich über meine Zeit in Schweden schreiben, den Preis, den ich für diese Kolumne bekommen habe oder irgendetwas anderes, etwas Schönes. Eigentlich, denn das Leben hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein Vater ist überraschend gestorben.

Unser Verhältnis war in den letzten Jahren ein Nichtverhältnis. Da war genug Zeit, dass sich Wogen glätten und wir einander wieder zaghaft, aber freundlich ein- oder zweimal im Jahr begegnen konnten. Und als ich ihm von meiner Geschlechtsangleichung berichtete, reagierte er respektvoll und aufgeschlossen. Doch da waren Fragen. Vor allem zwei, die mir jetzt wieder ins Bewusstsein kamen: Welche Bedeutung hatte seine häufige Abwesenheit in meiner Kindheit und Jugend für mich? Und gibt es da einen Zusammenhang mit meiner Transsexualität?

Auf letztere Frage gibt es ein klares Nein. Ich kenne zwar genug Trans*leute, deren Eltern sich bei der Erziehung nicht mit Ruhm bekleckert haben. Da gibt es sexuelle Gewalt, Misshandlungen, Missachtung und bloße Abwesenheit – seitens der Väter und auch der Mütter. Doch viele Trans*leute sind in einer liebevollen und umsorgenden Umgebung mit Mutter und Vater aufgewachsen. Legenden wie die, eine „dominante Mutter“ sei Ursache von Transsexualität, entsprechen nicht der Realität.

Gefehlt hat mein Vater, als Bezugsperson, jedoch oft. Das hat geschmerzt, dieses Wissen, dass da eigentlich noch jemand dazugehört, auf Schulfesten, zu Weihnachten, am Geburtstag oder einfach so zum Reden, Anlehnen und Ratholen. Und er wird fehlen, immer und immer wieder. Er wird nicht hinter mir sitzen, sollte ich heiraten, er wird seinen Enkel_innen nicht Opa sein. Und sollte ich das Rentenalter erreichen, wird er zwei Drittel meines Lebens tot gewesen sein.

Die Erinnerung aber, wie ich mit elf Jahren meinem weinenden und schluchzendem Vater gegenübersaß, wird mich ein Leben lang begleiten. Er hatte schwere psychische Probleme und war seiner Umwelt häufig mehr Last als Unterstützung. Andererseits war er auch ein Kind seiner Zeit, ein Kind des Wirtschaftswunders. Er wuchs auf in einer Zeit, in der wirtschaftlicher Erfolg nicht nur möglich, sondern auch erwartet wurde. Und ohne ihn von der eigenen Verantwortung für sein Tun freisprechen zu wollen, so ist er doch auch an solchen Erfolgserwartungen zerbrochen, hat sich diesen zumindest nicht entziehen können. Doch ich denke auch an Schönes: Schiffchen fahren lassen auf der Alster oder das Puppenhaus, das er mir gebaut hat, und diese köstliche Bouillabaisse, die wir zusammen gekocht haben. Es gab so vieles, das ich noch von ihm hätte lernen können. Aber vielleicht habe ich die wichtigste Lektion ja schon gelernt: Wie wichtig es ist, sich selbst nah zu sein.

Die Autorin studiert Geschichte in Berlin Foto: privat