: „Was für ein harter Kopf – und so schön poliert!“
FANS Im Kongo wird Matchwinner Balotelli ehrfürchtig bejubelt. In Kreuzberg wird entschieden, den Lieblingsitaliener vorerst zu meiden, und in Hamburg ist die einst sommerlich-heitere Stimmung im Keller
Berlin-Kreuzberg: Ich muss in meiner Stammkneipe beim Fußball immer hinten im Eck sitzen, direkt an der Wand. Weil ich so groß bin, aber auch weil ich immer aufspringen muss, wenn es ganz spannend wird. Am Donnerstag bin ich oft aufgesprungen. Meistens aus Verzweiflung. Neben mir sitzen immer Gitte, Michael und dessen Frau. Die hatte auf Italien getippt. Und gewonnen. Das fanden viele Kreuzberger gar nicht lustig. Auch wenn sie natürlich verständnisvoll taten und nicht wollten, dass das irgendwie rassistisch rüberkommen könnte. Auch als dann der Balotelli seine Muskeln immer so gezeigt hat, blieben einigen die Kommentare in der Currywurst stecken. Man muss dann ja auch aufpassen. Als es in der Halbzeit von der Lokuswirtin Grappa gab, wollten aber schon einige wissen, ob der denn aus Italien käme. Nach dem Abpfiff ist alles schnell vorbei und ich bin noch kurz bei meinem Lieblingsitaliener vorbei. Um zu sagen, dass ich jetzt erst mal nicht mehr komme. Gratuliert habe ich nicht. Ist mir doch egal, ob die Italiener besser waren. Ich finde, man kann im Sommer auch gut Riesling trinken. IPO
Kongo: Natürlich sind die Kongolesen alle für Italien. Der Grund heißt: Balotelli. „Was für ein harter Kopf!“, ruft voller Bewunderung ein fülliger kongolesischer Professor in der Bar am Kivu-See im ostkongolesischen Goma nach dem ersten Kopfballtor des Afrikaners. „So schön poliert!“ Balotelli muss sich irgendwas Besonderes auf den Schädel geschmiert haben, das ihm das Toreköpfen erleichtert, da ist sich das Publikum einig. Nur einer von ihnen unterstützt Deutschland, hat sich aber zugleich Spaghetti bestellt. Kurz vorher sind schwerbewaffnete kongolesische und ruandische Soldaten durch das Hotelgelände geschlichen, die irgendwelche wichtigen Persönlichkeiten bewachen. Als Balotelli sich nach seinem zweiten Tor das Hemd vom Leibe reißt, kennt die Bewunderung keine Grenzen mehr. So sehen afrikanische Sieger aus. Balotelli! Für wen spielt er noch mal? D.J.
Hamburg-Altona: Die Pizzadienste haben viel zu tun, für die Daheimbleibenden. Hinterher, so schwört einer, sei aber der Absatz nicht eingebrochen. Was aber in den Keller stürzte, war die sommerliche Heiterkeit, die jene verströmten, die sich mit schwarz-rot-goldenem Partyflitterkram pünktlich zu Spielbeginn irgendwo einfanden. Aus der positiven Stimmung wuchs in einer Halbzeit vordepressive Kühle. In der zweiten Halbzeit glaubt man schlicht nicht mehr an ein, so ein geografisch versierter Zeitungsverkäufer, „Wunder an der Weichsel“. Man gab sich offenbar einfach auf! Keine Hupkonzerte nach der Niederlage, keine Schlägereien wider irgendwelchen Nächsten, keine Hassgesänge! JAF
Wolfsburg: Das italienische Restaurant der Familie Curcuruto liegt mitten in Wolfsburgs Fußgängerzone, und nach dem Spiel kamen viele vom Public Viewing hier vorbei. „Vor der Tür war eine Menge los, aber die Leute waren friedlich und ein bisschen traurig“, sagt Santina Curcuruto. Ausfallend sei hier niemand geworden. Als Italien 2006 in Deutschland Weltmeister wurde, sah das noch anders aus, erinnert sie sich. „Damals war die Stimmung deutlich aggressiver und wir mussten uns viele Beleidigungen anhören.“ ILK