Bonner Amt sieht sich gerüstet

Würden deutsche Großstädte mit 1.000 Verletzten fertig? Katastrophenschützer sagt Ja

BERLIN taz ■ Nach den ersten hausinternen Analysen am späten Nachmittag klingt Christoph Unger selbstbewusst: „Mit der Katastrophenlage und der Zahl von Verletzten, wie sie uns bisher aus London bekannt geworden ist, würden wir auch in einer deutschen Großstadt fertig.“ Unger leitet seit Herbst das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Auch in seiner Behörde sei der „Massenanfall von Verletzten“ ein „zentrales Thema“, sagte er gestern der taz.

Kein Wunder: Mit dem Weltjugendtag in diesem Sommer und der Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr steht die junge Behörde vor einer Herausforderung.

Fachleute machen kein Geheimnis daraus, dass sie Unger seinen Job nicht neiden. Denn um den Katastrophenschutz in Deutschland ist es nicht zum Besten bestellt. Wolf Dombrowsky, Deutschlands renommiertester Wissenschaftler auf dem Feld, urteilte kürzlich: „Der Katastrophenschutz in Deutschland verdient die Note Fünf.“ Im Ernstfall führten die Mängel zu „verheerenden Folgen“.

Auch der zuständige Hauptreferent des Deutschen Städtetages, Ursus Fuhrmann, wird nicht müde, die Lage des Katastrophenschutzes als katastrophal anzuprangern. Anschläge wie in Madrid machten die Mängel der deutschen Katastrophenabwehr „überdeutlich“. So seien bundesweit die Notfallsirenen abmontiert, aber nicht ersetzt worden. Vielerorts orientiere sich die Ausstattung mit Fahrzeugen und Gerät am Szenario eines Busunglücks mit 50 Verletzten. In ganz Deutschland seien täglich nur zwischen 25 und 30 Betten für schwer verletzte Brandopfer organisierbar.

Als besonders gravierend gilt die Zersplitterung der Kompetenzen. Zwar hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit Ungers Bonner Bundesamt eine Zentralstelle geschaffen, um die Republik besser für den Ernstfall zu rüsten. Doch bisher kann das Amt ausgerechnet das nicht, was es nach dem Wunsch des Ministers können sollte: im Großschadensfall die Führung übernehmen, die Hilfe koordinieren. Das Problem: Katastrophenschutz ist in Deutschland Ländersache, die Einsatzleitung im Notfall liegt bei 323 Kreisen und 117 kreisfreien Städten – eine Zersplitterung, die Fachmann Dombrowsky als „vormodern“ kritisiert. Die Koordination habe weder bei der Oder-Flut noch beim Elbe-Hochwasser funktioniert. Doch mit seinem Zentralisierungsvorstoß blitzte Schily in der Föderalismuskommission ab.

Gerade für auf eine Stadt begrenzte Anschläge wie gestern sieht Katastrophenschützer-Chef Unger die Einsatzstäbe in Deutschland aber inzwischen besser gerüstet, als manche Kritiker behaupten. Natürlich könne nicht jede deutsche Kleinstadt auf tausende von Verletzten vorbereitet sein. Aber das muss sie nach Ungers Ansicht auch nicht. Schließlich zeige London, worauf es Terroristen ankomme: „symbolhafte Orte, zu symbolhaften Terminen, vor laufenden Kameras“ zu treffen und „Bilder mit möglichst viel Blut“ um die Welt zu schicken.

ASTRID GEISLER