: Elche und Alkohol
Bei der Premiere ihres Liederabends „Høllekin gen 35°“ ließ Meret Becker zum Glück kein Finnland-Klischee aus
So ein Donnerstag ist ja das letzte Aufbäumen einer jeden Arbeitswoche. Entweder passiert am darauf folgenden Freitag gar nichts mehr – oder aber verdammt nochmal alles, was in der Woche nicht passiert ist.
Dann aber diese Frau! Sie trägt hinfort aus trüben Gedanken: Eskapismus pur in weißer Spitze. Für diesen einen Abend soll sie meine Braut sein. Und das macht sie gut: witzig und trotzdem sexy, kindlich und klug, vor allem aber gesegnet mit einer Stimme, deren Spektrum von Eartha Kitt bis Wiegenlied reicht und garantiert selbst den größten menschlichen Eisklotz im Publikum – leider waren wir nicht alleine – zum Schmelzen bringt.
Womit eine Überleitung zum Thema ihres Liederabends gelungen wäre, an der Meret Becker selbst wohl auch ihre Freude hätte – war sie doch bei der Premiere von „Høllekin gen 35 [o]“ in der großbürgerlichen Wilmersdorfer Tante „Bar jeder Vernunft“ um keine Pointe verlegen. Es durfte auch ruhig mal ein Kalauer sein. Einer lachte am lautesten: Stiefvater Otto Sander, dessen unvergleichliche Stimme man wohl auch beim U 2-Konzert im Olympiastadion rausgehört hätte, wenn es dort etwas zu lachen gegeben hätte und nicht nur Predigten. Aber wir schweifen ab …
„Zurück zu Finnland“ war der Satz des Abends, denn auch Meret Becker und ihre Begleitmusiker Buddy Sacher und Peter Wilmanns von Ars Vitalis hielten sich nicht strikt an den im Titel angedeuteten Kurs 35 Grad NNO, der einen von Berlin nach Helsinki führt.
Gerade diese Schlenker, dänische Kinderlieder und Meret Beckers Lieblingssongs, haben sie ankommen lassen – vielleicht nicht unbedingt in Finnland, aber in den Herzen der Premierengäste, und zwar mit einer Punktlandung. Auf ihrem Weg dorthin hat sie weiß Gott kein einziges Finnland-Klischee ausgelassen: Elche, Alkohol, dunkle Winter, helle Sommer, Selbstmord – alles drin, welch ein Spaß! Abend, euer Spielplatz, wollte man auf die Bühne rufen, so unverstellt wirkte die Begeisterung der Musiker bis zur dritten und letzten Zugabe.
Die Schlusspointe hatte Meret Becker schon mit ihrem ersten Satz gesetzt: „Ich war noch nie in Finnland.“ Warum auch?
DAVID DENK
„Bar jeder Vernunft“, bis 11. Juli, 20 Uhr