mein erstes mal
: Würfeln im Wahllokal

Foto: Jens Krick/Future Image/imago

Hier erzählen bekannte Persönlichkeiten von ihrer ersten Wahl. Heute: der Bochumer Autor Frank Goosen

Ich war ganz heiß drauf, konnte es gar nicht erwarten. Im Mai wurde ich 18, im Juni 1984 war dann die Europawahl. Als ich Ende der 70er Jahre anfing, mich für Politik zu interessieren, war die Nachrüstungsdebatte ein Riesenthema, die Demonstrationen dagegen und auch schon Umwelt. Wobei ich aber zugeben muss, dass Politik im Rückblick nicht zuletzt eine ästhetische Frage war. Ich fand super, wie die Grünen mit ihren Norwegerpullis und Fusselbärten mal eine ganz andere Stimmung in der Politik verbreitet haben.

Als ich noch nicht selbst wählen durfte, war ich immer mit meinem Vatta ins Wahllokal gegangen. Lokal hieß damals ja noch, dass man wirklich in eine Kneipe ging. Die Kneipen waren immer sehr interessiert daran, zum Wahllokal zu werden, weil die Leute noch ein bisschen geblieben sind und was getrunken haben. Vatta hat also sein Kreuz gemacht und stand dann noch am Tresen und hat geschockt, also gewürfelt. Ja, und ich war dabei. Ich meine auch, dass meine erste Wahl in dieser Bochumer Eckkneipe war, würde es aber nicht beschwören.

Ich hatte dann jedenfalls die Grünen gewählt. Ich glaube, zum CDU-Wählen bin ich schon damals genetisch unfähig gewesen. Zum einen war da natürlich dieser piefige, provinzielle und scheinbar beschränkte Helmut Kohl. Das fand ich politisch-inhaltlich als eben auch ästhetisch eine Herausforderung. Zumal es in der Zeit noch heftiger zuging. Heute regt man sich über Maaßen auf, damals gab es noch die sogenannte Stahlhelmfraktion mit zum Beispiel Alfred Dregger.

In meiner Familie war es mein Oppa, der die CDU aus Überzeugung gewählt hat. Der hatte im Krieg gekämpft und fand das alles nicht so schlimm. Nach dem Motto: „Wer hat denn die Autobahn gebaut?“ Mich hatte das natürlich moralisch total empört und ich sah mich als die Speerspitze des innerfamiliären antifaschistischen Kampfs. Durch meine Stimme hatte ich dann ein bisschen das Gefühl, an den großen Dingen beteiligt zu sein. Auch, wenn das vielleicht ein wenig naiv war.

Heute ist es ja auch wieder so, dass es mehr um ein Lachen im Rücken des Bundespräsidenten geht als um inhaltlichen Fuppes. Abschreiben, das kennen die Leute noch aus der Schule. Aber CumEx und Wirecard kriegst du eben nicht so einfach auf den Punkt gebracht. Die Wahlentscheidung läuft also nicht rational, sondern eher oberflächlich ab. So, wie das bei mir in den 80er Jahren ehrlicherweise eben auch war.

Protokoll Adrian Breitling